Roma in München: Leerstellen der Kunstgeschichte sichtbar machen
04.12.2024
Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas beschäftigt sich aktuell mit einem Kapitel der Münchner Geschichte, das für die im Nationalsozialismus verfolgten Roma und Sinti fatal war.
04.12.2024
Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas beschäftigt sich aktuell mit einem Kapitel der Münchner Geschichte, das für die im Nationalsozialismus verfolgten Roma und Sinti fatal war.
Die international beachtete Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas ist für ihre Arbeiten zurzeit am Käte Hamburger Kolleg global dis:connect der LMU zu Gast. Małgorzata Mirga-Tas setzt sich künstlerisch mit dem Leben von Roma und Sinti auseinander.
Als Artist in Residence forscht sie an der LMU gemeinsam mit Kunsthistoriker Wojciech Szymański mit einer historischen Perspektive über die Sichtbarkeit von Roma in München und recherchiert in Archiven und Museen Spuren, die zurück bis ins ausgehende 19. Jahrhundert reichen.
Erste Ergebnisse werden sie am 9. Dezember bei einem Artist Talk vorstellen. Im Interview sprechen Kunstgeschichtsprofessorin Burcu Dogramaci, Direktorin am Käte Hamburger Kolleg global dis:connect, und Małgorzata Mirga-Tas über das Projekt und ihre Zusammenarbeit.
Małgorzata Mirga-Tas hat 2022 im polnischen Pavillon auf der 59. Biennale di Venezia und auf der documenta in Kassel für großes internationales Aufsehen gesorgt und die Kunstgeschichtsschreibung herausgefordert.Burcu Dogramaci, Direktorin am Käte Hamburger Kolleg global dis:connect
Wie kommt es zur Zusammenarbeit mit Małgorzata Mirga-Tas am Käte Hamburger Kolleg global dis:connect?
Burcu Dogramaci: Małgorzata Mirga-Tas hat 2022 im polnischen Pavillon auf der 59. Biennale di Venezia und auf der documenta in Kassel für großes internationales Aufsehen gesorgt und die Kunstgeschichtsschreibung herausgefordert. Mit den textilen Collagen, die sie gemeinschaftlich innerhalb ihrer Roma-Community erstellt, verschränkt die Künstlerin den Alltag der Roma mit der Bild- und Kunstgeschichte. Sie hebt gemeinschaftliches Handeln und Leben hervor und widmet sich insbesondere der Rolle der Frauen. Zudem setzt sie sich mit Stereotypen, Ausschlüssen und Auslassungen in der Kunstgeschichte auseinander.
Als sich Małgorzata Mirga-Tas gemeinsam mit dem Kurator und Kunsthistoriker Wojciech Szymański mit einem Projekt zu Roma und Sinti im Kontext der Kunstszene in München bewarb, hat uns das sofort überzeugt. Es setzt das zentrale Thema des Kollegs, das Zusammenspiel von Konnektivität und Diskonnektivität in Globalisierungsprozessen, in aufregender Weise um – etwa mit Bezug auf Erinnerungskulturen oder geschichtsbildende Prozesse.
Wir freuen uns, dass Małgorzata Mirga-Tas als international begehrte Künstlerin unserer Einladung trotz vielfacher Verpflichtungen gefolgt ist – derzeit sind ihre Arbeiten in der Tate St Ives zu sehen, sie bereitet zudem eine Schau in der National Portrait Gallery in London und im Kunsthaus Bregenz vor.
Frau Mirga-Tas, was versprechen Sie sich von Ihrer Rolle als Artist Fellow?
Małgorzata Mirga-Tas: Ich arbeite an einem neuen Projekt und einer Ausstellung, die der (Un-)Sichtbarkeit der Roma in der modernen Kunstwelt gewidmet ist. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Stadt München um die Jahrhundertwende. Mein Aufenthalt im Käte Hamburger Kolleg global dis:connect scheint mir eine ausgezeichnete Gelegenheit, diese Absichten zu verwirklichen.
In den letzten Jahren hat sich die kunstbasierte Forschung zu einer gleichberechtigten Form der Forschung in der globalen akademischen Welt entwickelt. Künstlerinnen und Künstler werden zunehmend eingeladen, an rein akademischen Projekten teilzunehmen. Ihre Arbeit ist besonders dort wertvoll, wo traditionelle Methoden der historischen Forschung an ihre Grenzen stoßen.
Burcu Dogramaci: Das Käte Hamburger Kolleg global dis:connect lädt seit Anbeginn nicht nur Fellows aus der Wissenschaft ein, sondern auch Künstlerinnen und Künstler. Diese entwickeln oft einen anderen heuristischen Zugang zum Quellenmaterial, haben mehr Freiheiten im Umgang mit den vielen Auslassungen, die eine dis:konnektive Kunstgeschichte und Geschichte prägen – bedingt durch koloniale Gewalt und Ausbeutung, Sklaverei, Exil- und Migrationserfahrungen.
In ihrem Projekt setzen sich Małgorzata Mirga-Tas und Wojciech Szymański künstlerisch und kunsthistorisch unter anderem mit einem noch immer zu wenig beachteten Kapitel der Münchner Geschichte auseinander.
1899 wurde ein polizeilicher Nachrichtendienst in Bezug auf Roma und Sinti in München gegründet, und eine Personendatenbank der Erfassung und Kontrolle wurde aufgebaut. Diese frühe polizeiliche Erfassung spielte dann nach 1933 den Nationalsozialisten in die Hände, die Roma und Sinti verfolgten, inhaftierten, sie für medizinische Experimente missbrauchten, sie töteten. Der Porajmos (Völkermord der europäischen Roma im Nationalsozialismus, Anm. der Redaktion) hat also seine Vorgeschichte im 19. Jahrhundert, was einen Rahmen für die Recherchen von Małgorzata Mirga-Tas und Wojciech Szymański bildet.
Ich arbeite an einem neuen Projekt und einer Ausstellung, die der (Un-)Sichtbarkeit der Roma in der modernen Kunstwelt gewidmet ist. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Stadt München um die Jahrhundertwende.Małgorzata Mirga-Tas
Können Sie schon etwas über Ihre Erfahrungen aus dem Projekt sagen?
Małgorzata Mirga-Tas: Ich interessiere mich für die Sichtbarkeit von Sinti und Roma in München vor allem in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ich war erstaunt, dass trotz der riesigen Menge an modernen und akademischen Kunstwerken, die Roma darstellen, und der polizeilichen Verzeichnisse, die zu dieser Zeit in München angelegt wurden, in den Archiven Nachweise ihrer Präsenz nicht leicht zu finden sind.
Burcu Dogramaci: Bei einem Artist Talk am 9.12. werden Małgorzata Mirga-Tas und Wojciech Szymański die aktuellen Rechercheergebnisse präsentieren. Ihre Forschungen führten sie in Bibliotheken, Archive und Museen Münchens. Sie werden auch über ihre früheren Kunstprojekte und Ausstellungen sowie über ihre Arbeit mit verschiedenen Roma-Gemeinschaften in Polen und im Ausland sprechen.
Bei einem Großteil der Arbeiten von Małgorzata Mirga-Tas handelt es sich um Textilarbeiten, was uns als wesentlicher Aspekt in ihrer künstlerischen Praxis scheint. Deswegen haben wir Anna Schneider, Kuratorin am Haus der Kunst, eingeladen, mit der Künstlerin über das Textile ins Gespräch zu kommen. Anna Schneider bezieht häufig in ihren Ausstellungen Textilkunst ein und setzt diese in Beziehung zu ihrem soziopolitischen Kontext. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Sophie Eisenried wird das Panel nach fehlendem Wissen über Leben, Netzwerke und Räume von Roma fragen und beleuchten, welche Rolle Kunst und Forschung in der Sichtbarmachung dieser Leerstelle(n) einnehmen können.
Małgorzata Mirga-Tas teilt sich aktuell ein Fellowship mit dem Kunsthistoriker Wojciech Szymański am Käte Hamburger Kolleg global dis:connect an der LMU. Beide haben bereits bei der Biennale in Venedig im Jahr 2022 zusammengearbeitet, wo Szymański die Ausstellung „Re-enchanting the world“ von Mirga-Tas im polnischen Pavillon co-kuratierte.
Am 9. Dezember berichten beide in einem Artist Talk über Recherchen zu ihrem gemeinsamen Vorhaben „History of Art/History of Violence: From the Belle Époque to the Genocide“ und zur Sichtbarkeit von Roma in München. Die Veranstaltung wird von Anna Fenia Schneider, Kuratorin am Haus der Kunst, und Sophie Eisenried, Käte Hamburger Kolleg global dis:connect, moderiert.
Zur Veranstaltung: „Roma-non-Roma: in:visibilities and dis:connections“