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Sechs neue ERC Grants an der LMU

05.09.2024

Millionenförderung aus Brüssel: Für Projekte von sechs Nachwuchsforscherinnen und -forschern vergibt der Europäische Forschungsrat prestigeträchtige Starting Grants.

Vier Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler verschiedener Disziplinen haben mit der LMU je einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) für ihre Forschung eingeworben, zwei Forscherinnen wechseln mit Grants, die sie mit anderen Einrichtungen eingeworben haben, an die LMU. Die Projektförderung beträgt jeweils etwa 1,5 Millionen Euro. Sie wird anhand der wissenschaftlichen Exzellenz der Antragsteller sowie des beantragten Projekts vergeben und zählt zu den angesehensten Forschungsförderungen in Europa.

Die vom ERC geförderten Projekte:

© LMU

Verwitterung von Sedimenten

Prof. Dr. Aaron Bufe ist Professor für Sedimentologie am Department für Geo- und Umweltwissenschaften. Der Geologe untersucht die Wechselwirkung von Prozessen, die die Entwicklung von Landschaften, den Transport von Sedimenten und die globalen geochemischen Kreisläufe steuern.

Die chemische Verwitterung von Gesteinen steuert eine Vielzahl biogeochemischer Kreisläufe. So beeinflusst sie zum Beispiel den CO2-Gehalt der Atmosphäre, gleicht CO2-Emissionen aus dem Erdmantel aus und stabilisiert das Klima der Erde. Jahrzehntelange Forschung hat Wissen über Verwitterungsprozesse zusammengetragen, das genutzt wird, um die Evolution des Erdklimas über Millionen von Jahren zu verstehen. Allerdings beschränkt sich dieses Wissen bisher zum Großteil auf die Verwitterung in Gebirgsregionen, in denen Gesteine durch Erosion freigelegt werden. Das von Bergen erodierte Gestein wird jedoch als Sediment wieder abgelagert, zum Beispiel in Talfüllungen und in Überschwemmungsebenen. In diesen Sedimentablagerungen kann das Gestein weiter verwittern. Schätzungen deuten darauf hin, dass mehr als 50 Prozent der globalen Verwitterung außerhalb von Gebirgsregionen stattfindet; dennoch gibt es bisher keine Daten oder Modelle, um die Verwitterung von Sedimentablagerungen zu quantifizieren oder ihre Empfindlichkeit gegenüber Klima und Tektonik vorherzusagen.

Mit seinem Projekt FloW (Floodplain Weathering) will Aaron Bufe diese Lücke schließen und ein Modell für die Verwitterung in Schwemmebenen entwickeln. „Ein quantitatives Verständnis solcher Verwitterungsprozesse wird es uns erlauben, die Reaktion der Erde auf natürliche und anthropogene CO2-Störungen besser vorherzusagen“, sagt Bufe. Sein Modell will er anhand neuer Daten aus Überschwemmungsgebieten testen, die durch unterschiedliche tektonische und klimatische Randbedingungen beeinflusst werden. Auf diese Weise will er mit FloW einen neuartigen Rahmen für die Verknüpfung physikalischer und chemischer Massenflüsse an der Erdoberfläche schaffen und unser Verständnis des Kohlenstoffkreislaufs und der Klimaentwicklung der Erde verbessern.

© Tatjana Dierigl

Symmetrien in der Quantenwelt

Dr. Markus Dierigl ist Senior Researcher am Arnold Sommerfeld Center for Theoretical Physics der LMU und arbeitet im Bereich Mathematische Physik und Stringtheorie.

Symmetrien spielten in der Geschichte der Physik schon immer eine große Rolle, insbesondere auch in der theoretischen Beschreibung experimenteller Beobachtungen, wenn man Veränderungen und Dynamiken physikalischer Systeme zu fassen versuchte. Mathematisch werden solche Veränderungen über deren Effekt auf Operatoren, welche z. B. geladene Teilchen erzeugen, beschrieben. In diesem Bereich erweiterte sich das Verständnis in den vergangenen Jahren, da Symmetrien auch auf ausgedehnte, nicht punktförmige Operatoren wirken können. Man bezeichnet diese als verallgemeinerte Symmetrien.

Bislang wurden diese Symmetrien häufig in Theorien diskutiert, ohne dabei die Effekte der Gravitation zu berücksichtigen. In seinem neuen Projekt SymQuaG (Symmetries in Quantum Gravity) will Markus Dierigl nun die Gravitation einbeziehen und theoretische Ideen entwickeln, um universelle Regeln für Theorien der Quantengravitation mit verallgemeinerten Symmetrien abzuleiten. Diese Kombination aus verallgemeinerten Symmetrien und universellen Eigenschaften von Gravitationssystemen verspricht die jüngsten Fortschritte auf beiden Gebieten zu nutzen, um Einblicke in bisher unbekannte Gesetze der Quantengravitation, ihre Manifestation in unserem Universum und ihre Auswirkungen bei niedrigen Energien zu gewinnen. Das Forschungsprojekt strebt ein mathematisches Fundament an, um die Vereinigung von Gravitation und Quantenphysik, zwei Konzepte, die ansonsten unvereinbar nebeneinanderstehen, besser zu verstehen. Markus Dierigl will die neu entwickelten Gesetze dann auf sogenannte supersymmetrische Theorien anwenden und dabei zeigen, dass alle konsistenten Supergravitationstheorien notwendigerweise eine Realisierung in der Stringtheorie haben.

Abschied von der Weltformel als philosophisches Leitmotiv

Dr. Sébastien Rivat ist Assistant Professor am Lehrstuhl für Wissenschaftstheorie. Am Münchner Zentrum für mathematische Philosophie (MCMP) der LMU forscht er zur Geschichte und Philosophie der Physik.

Das Ideal einer endgültigen, allumfassenden Theorie hat einen Großteil der modernen Physik und ihrer philosophischen Interpretationen geprägt. Physiker haben die Idee einer Art Weltformel als Blaupause benutzt, um Theorien über Raum, Zeit, Materie und Bewegung zu konstruieren, die im Prinzip überall und unter allen Umständen gelten. Philosophen haben es als Leitfaden verwendet, um bestehende Theorien zu interpretieren und das gesamte Universum in Form eines Grundgerüsts fundamentaler Einheiten darzustellen. Obwohl dieses Ideal auch heute noch eine wichtige Rolle in der Quantengravitation spielt, hat sich die Situation seit den 1950er-Jahren erheblich verändert. Die Physiker sind sich heute weitgehend darüber im Klaren, dass ihre derzeit besten Theorien nur auf bestimmten Skalen funktionieren und dass dies auch für jede künftige empirisch erfolgreiche Theorie der Fall sein könnte. Außerdem verbringen Physiker die meiste Zeit damit, Systeme Skala für Skala zu untersuchen und zu analysieren, wie physikalische Effekte skalenübergreifend voneinander abhängen, selbst im Kontext der Quantengravitation. Wie sollten Philosophen ihre Interpretationspraxis anpassen, wenn sie diese neue Art, Physik zu betreiben, ernst nehmen wollen? Was für ein Weltbild würde sich daraus ergeben?

Das Projekt RESCALE (The Scale Revolution in Physics: Historical and Philosophical Perspectives) vertritt die These, dass das Ideal einer allumfassenden Theorie keine sinnvolle Interpretationshilfe mehr darstellt, so dass uns nichts anderes übrigbleibt, als das Universum maßstabsgetreu darzustellen. Genauer gesagt wird das Projekt zeigen, dass die neue skalenbasierte theoretische Praxis der Physiker dazu führt, dass wir ein partielles Bild der Welt zeichnen, das in einer komplexen Hierarchie von sich überlappenden Schichten über die Skalen hinweg strukturiert ist und dabei weitgehend unabhängig von dem ist, was darüber hinaus liegen mag.

Diese systematische interdisziplinäre Studie an der Schnittstelle von Geschichte, Philosophie und Physik legt nicht nur einen grundlegenden erkenntnistheoretischen Wandel in der jüngeren Wissenschaftsgeschichte offen, der uns zwingt, unser Weltbild neu zu skalieren, sondern wird auch tiefgreifende Auswirkungen auf unser Verständnis von Repräsentation, Reduktion, Realismus und Metaphysik an den Grenzen der Wissenschaft haben.

Einblicke in die Schaltzentrale

Dr. Anna Schroeder war bislang am Max-Planck-Institut für Hirnforschung und an der Universität Freiburg tätig und wechselt im April 2025 als Professorin für Systemische Neurowissenschaften an die LMU.

Wer überleben will, muss sein Verhalten schnell und präzise an seine Umgebung anpassen können. In einer Welt, in der sich unsere physiologischen Bedürfnisse und unsere Umgebung ständig verändern, kann schon eine falsche Bewegung den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Wie aber gelingt es dem Gehirn, sowohl rasche Veränderungen unseres inneren Zustands als auch externe Einflüsse zu verarbeiten und dabei langfristige Erfahrungen einzubeziehen, um momentabhängig jeweils das am besten geeignete Verhalten zu wählen?

Es gibt immer mehr Belege dafür, dass die Zona Incerta, eine wenig erforschte Gehirnregion, eine zentrale Schaltstelle für dieses adaptive Verhalten ist. Dieser subthalamische Kern hat weitreichende Verbindungen im Gehirn und reguliert, wie man kürzlich herausfand, eine erstaunliche Bandbreite an überlebenswichtigen Verhaltensweisen wie etwa Abwehrverhalten, Schlaf, Ernährung und vieles mehr. Er kodiert auch damit einhergehende Veränderungen des inneren Zustands, wie zum Beispiel Angst, Müdigkeit und Hunger, und integriert Sinneswahrnehmungen über verschiedene Sinnesmodalitäten hinweg. Diese Eigenschaften deuten darauf hin, dass eine zentrale Funktion der Zona Incerta darin bestehen könnte, notwendige Anpassungen im Verhalten auf Basis eigener innerer Zustandsänderungen lokal zu berechnen. Diese leitet die Zona Incerta dann an nachgeschaltete Zielbereiche weiter, was dann zu entsprechend adaptierten Reaktionen führt.

Diese Hypothese wird Anna Schroeder im Rahmen ihres Projekts CERTASTATES (Internal state drivers of behavioral flexibility and their underlying neural circuitry in the zona incerta) untersuchen. Sie setzt dabei modernste Methoden zur Untersuchung und Messung von Schaltkreisen im Hirn sowie In-vivo- Bildgebungstechnologien in Mäusen ein, testet verschiedene Verhaltensparadigmen und misst die korrelierenden Verhaltenszustände. Ziel ist es, herauszufinden, wie verschiedene interne Zustandsänderungen in definierten Zelltypen und Schaltkreisen verarbeitet werden, wie sie die Verhaltensflexibilität antreiben und wie sie durch tiefe Hirnstimulation beeinflusst werden. Dies ist interessant, da die Zona Incerta eines der wenigen etablierten Ziele für den therapeutischen Einsatz von tiefer Hirnstimulation beim Menschen ist. Insgesamt soll CERTASTATES das Verständnis dafür verbessern, wie neuronale Schaltkreise innere Zustände erzeugen und ihrerseits diese Informationen verarbeiten, übertragen und verwenden, um adaptives Verhalten zu steuern. Die Ergebnisse könnten einen Ansatz liefern, wie klinische Neuromodulation diese überlebenswichtigen Entscheidungsprozesse positiv beeinflussen kann.

© Elvira Kaspar

Selbstheilungsprozesse im Gehirn aktivieren

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Anna-Sophia Wahl ist Professorin für Neuroanatomie am Lehrstuhl II Anatomie und Forschungsgruppenleiterin am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) des LMU Klinikums und Mitglied im Exzellenzcluster SyNergy. Der Hauptfokus ihrer Forschung liegt auf der Frage, welche hirneigenen Reparaturmechanismen das Gehirn hat, um auf Schädigungen wie einen Schlaganfall zu reagieren, und wie diese Prozesse durch geeignete Therapien zusätzlich verstärkt werden können.

Das Gehirn verfügt über die bemerkenswerte Fähigkeit, nach einer Schädigung Selbstreparaturmechanismen in Gang zu setzen – eine Voraussetzung für die Wiederherstellung verlorener Funktionen. Im Zuge von ARISE (Activate Repair In StrokE) will Anna-Sophia Wahl grundlegende, bisher unverstandene Prinzipien aufdecken, wie die Selbstheilung des Gehirns orchestriert wird und wie man diese verbessern kann. Mithilfe modernster, hochauflösender Mikroskopie und Künstlicher Intelligenz plant sie, in Experimenten herauszufinden, wie einzelne Nervenzellen nach einer Verletzung neu verdrahtet werden, warum einige von ihnen an den Reparaturprozessen teilnehmen, andere aber nicht und wie die neuronale Wiedervernetzung stimuliert werden kann, um die Rückgewinnung gestörter Funktionen zu fördern.

„Mit ARISE werde ich eine neuartige experimentelle Strategie entwickeln, um die zellulären Mechanismen der neuronalen Reparatur zu identifizieren, welche die Grundlage für die Wiedererlangung verlorener Hirnfunktionen bilden“, sagt die Neurowissenschaftlerin. Um Schädigung, Reparatur und Verhalten miteinander in Verbindung zu setzen, nutzt sie ein von ihr speziell entwickeltes Mausmodell. „Dieser Ansatz wird es mir auch ermöglichen, mithilfe mathematischer Modellierung die Effizienz neuartiger Rehabilitationstherapien bei Schlaganfall zu bewerten und deren Ergebnisse vorherzusagen.“

Mit Viren gegen antibiotikaresistente Keime

Prof. Dr. Carolin Wendling ist seit April 2024 Professorin am Lehrstuhl für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene des Max von Pettenkofer-Instituts. Ihre Forschung konzentriert sich auf die evolutionäre Veränderung von Bakterien und deren Auswirkungen auf Pathogenität und Antibiotikaresistenz. Ihren Grant hat sie mit Helmholtz Munich eingeworben, wo sie einen Teil ihrer Forschung durchführen wird.

Die weltweit zunehmende Antibiotika-Resistenz pathogener Bakterien wird mittlerweile als globale Bedrohung angesehen, sodass alternative Behandlungsmöglichkeiten dringend benötigt werden. Eine vielversprechende Alternative bieten bakterielle Viren, sogenannte Bakteriophagen, die Bakterien infizieren und abtöten können. Die Phagentherapie, die vor über 100 Jahren entdeckt wurde, konnte sich bisher aus mehreren Gründen nicht durchsetzen, darunter die zeitaufwendige Identifizierung geeigneter Phagen und die begrenzte Wirksamkeit oral verabreichter Phagen.

Mit ihrem Projekt PHAGE-PRO (Advancing Phage Therapy through Synergistic Strategies: Phage-Mediated Killing and Competitive Exclusion using Engineered Prophages) möchte Carolin Wendling diese Nachteile überwinden. Anstelle traditionell verwendeter lytischer Phagen setzt sie auf Prophagen, welche ihre DNA in bakterielle Genome integrieren können. Diese Prophagen wird Wendling in Probiotika einschleusen, wodurch sich die In-vivo-Haltbarkeit erhöhen lässt. Die Entwicklung einer durch KI unterstützten Plattform soll zudem die Identifizierung geeigneter Phagen deutlich schneller ermöglichen. Durch die Kombination mit Probiotika strebt die Wissenschaftlerin einen doppelten Effekt an: die direkte Bekämpfung pathogener Bakterien durch Phagen und deren kompetitive Verdrängung durch Probiotika.

„PHAGE-PRO wurde ursprünglich auf die Behandlung von Salmonelleninfektionen bei Geflügel zugeschnitten, aber das Potenzial dieser neuen Technologie reicht weit darüber hinaus“, sagt Wendling. „Sie kann nicht nur das Infektionsmanagement in der Nutztierhaltung revolutionieren, sondern eröffnet auch die Tür für gezielte präventive und therapeutische Maßnahmen in der Humanmedizin.“

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