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Spielerisch Lernstörungen meistern

24.01.2022

Legasthenie oder Dyskalkulie können zu Schulversagen führen. Deshalb ist frühes Erkennen ebenso wichtig wie die Förderung. Beides steht im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am LMU Klinikum.

© picture alliance / dpa

„Unser gemeinsames Ziel ist, mit diesem Projekt eine Plattform zu entwickeln, auf der Lehrkräfte, Lerntherapeuten, Schulpsychologen und Eltern aktuelle, wissenschaftlich fundierte Informationen sowie Tests und Fördermaterialien online auf Tablet und Smartphone zur Verfügung gestellt bekommen. Diese sollen ihnen eine zeitnahe und evidenzbasierte Unterstützung der Kinder mit schulischen Entwicklungsstörungen ermöglichen“, hatte Gerd Schulte-Körne schon 2017 zum Auftakt des Projekts LONDI erklärt. Die Pilotphase ist demnächst abgeschlossen. Genaue Zahlen über Teilnehmende und Ergebnisse liegen noch nicht vor, „wir haben aber eine enorme Reichweite und fanden in allen Bundesländern ein großes Interesse“, versichert Gerd Schulte-Körne.

LONDI wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Der Name steht für „Lernstörungen – Onlineplattform für Diagnostik und Intervention“; 40 Forscherinnen und Forscher sind daran beteiligt. Die Koordination liegt bei Professor Schulte-Körne, der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ist, sowie Professor Markus Hasselhorn vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation Frankfurt. Im Zentrum stehen sechs Forschungsvorhaben zur schulischen Diagnostik und zur evidenzbasierten Förderung von Kindern, die erhebliche Probleme beim Lesen, Rechtschreiben und Rechnen haben.

Online-Screening für individuelle Förderung

Um Kinder individuell fördern und den Effekt der Förderung messen zu können, so erläutert Forschungsleiter Schulte-Körne, sei zunächst eine förderrelevante Diagnostik nötig. Mit diesem Online-Screening werden in verschiedenen Schritten die drei grundlegenden schulischen Kompetenzen ermittelt: Lesen, Schreiben und Rechnen.

Beim Lesen und Schreiben geschieht das auf Wort-, Satz- und Textebenen, wie zum Beispiel durch Wort- und Satzerkennung oder auch mit einem Fehleridentifikationstest, der zuverlässig auf Rechtschreibschwierigkeiten hinweisen und Diktate als Leistungstests ersetzen kann. Beim Rechnen kommt es unter anderem darauf an, falsche und richtige Rechenergebnisse zu erkennen oder Additions- und Subtraktionsaufgaben zu lösen.

Der Vorteil des Screenings ist nach den Worten des Facharztes, dass es von Schulpsychologen, Lehrkräften und Lerntherapeuten in 45 Minuten durchgeführt werden kann, also innerhalb einer Schulstunde. In jedem Fall bekommen Schule, Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern in kürzester Zeit eine Rückmeldung über mögliche Lernstörungen. Und – besonders wichtig – gleichzeitig auch über Möglichkeiten der Intervention, also der Förderung. Wobei, wie Schulte-Körne anmerkt, Legasthenie, also der Lese- und Schreibschwäche, eher Verständnis entgegengebracht wird als der Dyskalkulie, der Rechenschwäche. Auch im schulischen Bereich. Das zeige sich unter anderem beim Instrument des Nachteilsausgleichs in Form besonderer Unterstützung – methodisch-didaktische Hilfen oder technische Hilfsmittel – oder des Notenschutzes. Bei Lese- und Rechtschreibschwäche werde es je nach Bundesland und Schule viel häufiger eingesetzt als bei Rechenschwäche.

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24.01.2022

Enge Zusammenarbeit mit Schulen, Therapeuten und Familien

Professor Schulte Körne steht lächend vor einer Trennwand aus Glas, die mit bunten Kindermotiven geschmückt ist

Professor Gerd Schulte-Körne | © Credit: Klinikum der Universität München

Hessen habe hier das am breitesten gefächerte Online-Lernangebot, Bayern eher nicht. An der Münchner Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie liegt ein Forschungsschwerpunkt auf der zeitnahen und evidenzbasierten Unterstützung der Kinder mit Lernstörungen. In Zusammenarbeit mit den Schulen und Schulbehörden, mit Therapeuten und mit betroffenen Familien werden Konzepte dafür entwickelt, wie die Förderung individuell gestaltet werden kann, damit sie Kinder (und Eltern) zum Mitmachen animiert und messbar zum Erfolg führt.

Das sei besonders wichtig, weil Förderung frühzeitig beginnen müsse. Oft gebe es einen Zusammenhang zwischen Legasthenie, Dyskalkulie und Verhaltensauffälligkeiten. „Bei Kindern mit Leseschwierigkeiten beobachten wir oft Aufmerksamkeitsstörungen oder Hyperaktivität“, sagt Gerd Schulte-Körne. Oft stießen auch Kinder, die schlecht lesen oder rechnen, bei ihren Klassenkameraden auf Ablehnung oder Spott. Mobbing in der Schule sei keine Seltenheit. Das könne regelrechte Ängste vor Mathe oder Deutsch verstärken oder auslösen und Leistungen zusätzlich verschlechtern. Den Kindern fehlten dadurch Kernkompetenzen, das dürfe man nicht unterschätzen.

Demgegenüber können evidenzbasierte Förderprogramme belohnen und motivierend wirken, wenn sie richtig gemacht seien. Als Beispiele nennt Schulte-Körne die „Meister Cody“-Apps, „Namagi“ für Rechtschreiben und Lesen sowie „Talasia“ für Rechnen. „Darin werden Geschichten erzählt und mit diesen Geschichten konkrete Aufgaben verbunden“, erläutert der Klinik-Direktor, „es ist eine Kombination aus Spiel und fundiertem Förderkonzept.“ So lernten Kinder auf spielerische Weise, Wörter, Silben und Laute zu unterscheiden oder Sätze zuzuordnen. Das Programm sei individuell gestaltet, mit jedem Lernfortschritt würden die Aufgaben schwerer, das sei Belohnung und Ansporn zugleich. „Die Kinder kommen von Level zu Level, wie bei einem Computerspiel, und damit sie sich nicht überfordern, ist jede Spiel-Übungseinheit auf maximal 30 Minuten beschränkt.“ Natürlich müssten die Eltern vorher über mögliche Lernschwierigkeiten informiert werden und die Erlaubnis geben, ob ihre Tochter oder ihr Sohn an „Namagi“ oder „Talasia“ teilnehmen darf. Hierzu bietet das Team von Professor Schulte-Körne online ausführliche Aufklärung an. Das Mitmachen ist zumindest im Rahmen der Studie kostenlos. Die Wissenschaftler bekommen während des Spiels und auch hinterher keine persönlichen Daten der kleinen Probanden, aber eine Rückmeldung über die Ergebnisse. Damit kann immer gleichzeitig überprüft werden, ob das Programm die erwünschten Erfolge bringt. Und es ist die Grundlage für eine permanente Aktualisierung des Lernprogramms.

In Hessen ist das schon gut angekommen: Auch Schulen machen mit und bieten die Plattform in den Ferien an. Es gebe, ergänzt Schulte-Körne, zudem eigene Förderprogramme von Schulen, aber die würden nicht wie LONDI auf ihre Wirksamkeit hin überprüft. Schulische Maßnahmen sieht auch LONDI vor. Neben der „normalen“ Zusammenarbeit mit Eltern bei der individuellen Förderung bietet das Projekt im Fall von Verhaltensauffälligkeiten mit dem Programm „Kompass“ neben dem evidenzbasierten Lernangebot zusätzlich verhaltenstherapeutische Elemente, die individuelle und schulische Maßnahmen mit einbeziehen und bei denen Lehrkräfte und Eltern zusammenarbeiten. Dabei wird ebenfalls laufend, auch mit Kontrollgruppen, überprüft, ob die Maßnahmen die erwartete Wirkung zeigen. Zusätzlich kann im Unterricht ein spezifischer Förderplan für das betreffende Kind ausgearbeitet oder parallel oder zusätzlich zum Unterricht die Förderung in Kleingruppen angeboten werden.

Politik sichert weitere Forschungsgelder zu

Hinzu kommen noch außerschulische Maßnahmen wie die Diagnostik durch Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater und Psychotherapeutinnen und -therapeuten oder Lerntherapien durch speziell ausgebildete Lerntherapeuten. Anders als bei der individuellen LONDI-Förderung müssen die Eltern dafür zahlen, denn, so Schulte-Körne, die möglichen Kostenträger wie etwa die Krankenkassen verträten die Ansicht, solche Förderung sei Aufgabe nicht des Gesundheits-, sondern des Bildungssystems und müsse von diesem getragen werden.

Die Pandemie und die zeitweise Schließung der Schulen hätten zwar die LONDI-Forschungsarbeit teilweise beeinträchtigt, diese aber schreite weiter voran. Die Online-Plattform sei immer auf dem neuesten Stand, versichert Schulte-Körne, im November starte eine neue Phase zur Erforschung der Implementierung. Mit der Finanzierung sehe es auch gut aus: Das Bundesbildungs- und Forschungsministerium hat bis 2025 weitere 1,7 Millionen Euro zugesichert.

Mehr über die LMU und die Menschen, die hier studieren und arbeiten, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des MünchnerUni Magazins:

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