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Studierende behandeln echte Patienten

26.04.2018

In der Zahnmedizin der LMU können sich Patienten von Fachärzten und Studierenden untersuchen lassen. Das dauert zwar etwas länger, zahlt sich aber aus.

Vorsichtig steckt Raya das Füllungsmaterial auf den Spatel. Ein prüfender Blick in den Mund des Patienten, dann führt die Zahnmedizinstudierende die Masse mit viel handwerklichem Geschick zielgenau in die löchrige Stelle des Zahns und drückt sie mehrmals von allen Seiten fest. Mundschutz und Handschuhe bräuchte sie in diesem Fall eigentlich nicht. Der Patient besteht nur aus einem Plastikkopf, sein Körper endet mit einer Stahlstange als Hals. Doch alles soll so echt wie möglich geübt werden. Simulationskurse sind für die rund 60-70 Studierenden ganz normal. So wie Raya üben angehende Zahnmediziner jeden Tag an den Plastikpatienten.

„Zahnmedizin ist ein sehr praxisorientiertes Studium“, erklärt Professor Reinhard Hickel, Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie und Dekan der Medizinischen Fakultät an der LMU. „Mit der höchsten Wochenstundenzahl überhaupt – sogar mehr als in der Medizin“, ergänzt er. Die praktische Erfahrung ist notwendig, da Zahnmedizinstudierende im Gegensatz zu angehenden Medizinern schon während des Studiums Patienten behandeln dürfen. Wer Zahnprobleme hat, kann sich in der Münchener Goethestraße 70 ganz normal einen Termin geben lassen, eine Überweisungspflicht gibt es nicht. Wenn der Patient einverstanden ist, übernimmt dann eine Studentin oder ein Student unter Aufsicht die Behandlung.

Um dieselbe Qualität wie in einer Zahnartpraxis zu gewährleisten, werden immer jeweils sechs Studierende von mindestens einem Zahnarzt betreut. Diese Zahnärzte helfen bei schwierigeren Fällen und übernehmen besonders anspruchsvolle Operationen. Die Behandlung dauert zwar etwas länger – daher zählen vor allem Studierende, Hausfrauen und Rentner zur Klientel. „Der Vorteil für Patienten ist aber, dass jeder Schritt ausführlich erklärt und kontrolliert wird“, verdeutlicht Hickel. Das ist insbesondere für Menschen mit Zahnarztangst oft eine große Erleichterung. Immerhin zwei Drittel der Deutschen sind davon betroffen – jeder Siebte sogar krankhaft. Außerdem seien Leistungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden, deutlich günstiger, erklärt der Poliklinik-Direktor.

Durch die vorgeschriebenen Patientenbehandlungen im Studium könnten Zahnmedizin-Absolventen direkt nach dem Studium ihre eigene Praxis aufmachen, ganz ohne eine Weiterbildung zum Facharzt. In der Regel absolvieren sie aber eine mindestens zweijährige Assistenzarztzeit um die Kassenzulassung zu erhalten.“ Um die Wartezeit für Studierende und Patienten während einer Behandlung zukünftig zu reduzieren, soll die Betreuungsquote im Rahmen des neuen bundesweiten Curriculums von eins zu sechs auf eins zu drei verbessert werden.

Moderne Räume und High-Tech-Geräte Doch schon jetzt kann sich die Arbeit der Münchener Poliklinik international sehen lassen. Der Grundstein für den Erfolg wurde vor zwölf Jahren durch den Umbau gelegt. Durch die modernen Räume und verbesserten Geräte sind ganz neue Lehr- und Forschungsmöglichkeiten entstanden. „Wir haben in vielen Bereichen weltweit eine sehr gute Reputation“, versichert Hickel, der in zahlreichen Gremien sitzt und an etlichen Universitäten in Europa, Amerika und Asien Vorlesungen hält. Bis Hickel Dekan der Medizinischen Fakultät wurde, war er auch lange Jahre Honorarprofessor in den USA.

Grundsätzlich sieht Hickel die Zahnmedizin in Deutschland auf einem guten Weg. Zwar müssen noch immer jedes Jahr Millionen Zähne gezogen werden. Aber gerade im Bereich der Prävention sei aber in den letzten Jahrzehnten wahnsinnig viel passiert, die Zahnmedizin hier ein Aushängeschild in der Medizin. „Patienten haben heute wesentlich mehr Zähne im Mund als noch vor 30-40 Jahren“, erklärt er. Zu Zeiten seiner Ausbildung hätten drei Viertel der über 65-Jährigen ein Gebiss gehabt – das sei heute kein Thema mehr. Auch die Anzahl von Füllungen und Kronen hat laut Hickel abgenommen.

Eine Art Rauchmelder für den Mund Auf den Zahnarztbesuch verzichten können wir in Zukunft dennoch nicht. Zwar haben es Forscher am Londoner King‘s College bei Mäusen geschafft, dass Stammzellen im Zahnmark dafür sorgen, dass Zahnlöcher wieder zuwachsen. Hickel nennt das aber noch Zukunftsmusik. Bis das Loch beim Menschen zugewachsen ist, würde es aktuell mehrere Monate, bis ein neuer Zahn gezüchtet ist, sogar mehrere Jahre dauern. Dies ist noch nicht praxisreif, ganz abgesehen von den immensen Kosten. „Erst in einem Zeithorizont von 20 Jahren wird das ein oder andere im biologischen Bereich wie Zahnzüchtung essentiell verbessert sein“, sagt er.

Hickel will stattdessen die Risikodiagnostik verbessern. „Aktuell kommen wir meist erst ins Spiel, wenn das Haus brennt“, erklärt er. Dann werde gelöscht, der Dachstuhl abgerissen und ein neues Dach gebaut, also eine Krone aufgesetzt. Der Poliklinik-Direktor will stattdessen eine Art Rauchmelder im Mund installieren. Sobald sich zum Beispiel gefährliche Enzyme beziehungsweise Metabolite im Mund in höherer Konzentration entwickeln, soll dieser Alarm schlagen. „Das ist zwar weniger spektakulär“, sagt Hickel und lacht, „aber dafür effektiver und zeitnah umsetzbar“.

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