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Suche nach dem indischen buddhistischen Erbe

08.12.2023

Professor Vincent Tournier, der neue Inhaber des Lehrstuhls für Klassische Indologie an der LMU, erforscht die Ursprünge und die frühe Geschichte des Buddhismus.

Professor Vincent Tournier steht vor einem Bücherregal. Er trägt ein dunkles Jacket, eine Brille und blickt freundlich in die Kamera.

Professor Vincent Tournier | © LC Productions

Die Reisen des Indologen Vincent Tournier führen ihn ins British Museum in London oder ins Metropolitan Museum in New York, zu Monumenten in Südindien und zu Manuskriptsammlungen in Nepal und Japan. Denn der Professor, der im vergangenen Jahr den Lehrstuhl für Klassische Indologie an der LMU übernommen hat, forscht über die Geschichte des Buddhismus. Spuren dieser Religion finden sich nicht nur in Texten in einer Vielzahl von Sprachen, sondern auch in Kunstwerken und Denkmälern rund um den Globus.

Tournier studierte Geschichte, Anthropologie und Altertumswissenschaften an der Universität Straßburg, wo er auch Sanskrit lernte und ein Interesse an der Geschichte des Buddhismus entwickelte. Für eine Dissertation über das biblische Erbe einer einflussreichen buddhistischen Schule, die in einer heterogenen Sprache aus Mittelindisch und Sanskrit verfasst ist, schrieb er sich an der renommierten École Pratique des Hautes Études in Paris ein. Als Postdoktorand, der Fragen der Hierarchie und der sozialen Gerechtigkeit in buddhistischen Gesellschaften untersuchte, wechselte er an die Universität Leiden in den Niederlanden, bevor er 2013 seine erste feste Stelle an der SOAS University of London, erhielt. Danach wurde er 2018 außerordentlicher Professor an der École française d'Extrême-Orient (EFEO) in Paris und 2022 wurde er zum Professor für Klassische Indologie am Institut für Asienwissenschaften der LMU berufen.

Mönche und Könige

Tournier untersucht den Aufstieg des Buddhismus, der in Indien um das 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung entstand. Seine Forschungen konzentrieren sich auf die Zeit bis zum 9. Jahrhundert n.Chr. „Historisch gesehen ist der Buddhismus eine primär indische Religion, die sich über ganz Asien ausbreitete“, sagt der Historiker. Der Grund, erklärt er, warum er oft nicht mit Indien in Verbindung gebracht wird, sei, dass seine Bedeutung auf dem Subkontinent zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert radikal zurückging – auch wenn er in angrenzenden Ländern und Regionen wie Nepal, Sri Lanka und dem südostasiatischen Festland eine wichtige oder sogar dominierende Kraft blieb. „Das Gleiche gilt beispielsweise für Afghanistan, Iran und Indonesien, die wir heute kaum noch mit dem Buddhismus in Verbindung bringen“, so Tournier.

Der Forscher interessiert sich besonders für die monastischen Linien und das Patronat. „Wir untersuchen die Geschenke, die sie von wohlhabenden Unterstützern wie Königen erhielten, ihre Beziehungen zu politischen Herrschern und wie sie mit anderen religiösen Traditionen, wie den sogenannten ‚hinduistischen‘ Kulten von Shiva und Vishnu, um Unterstützung konkurrierten."

Das Wort des Buddha

Der Franzose studiert auch die Sprachen und Literaturen des indischen Subkontinents. „Jeder Mönchsorden hatte eine andere Version des Kanons, in dem die Lehren des Buddha zusammengefasst sind“, erklärt Tournier. „Ich interessiere mich besonders für die heute nicht mehr existierenden Orden, die in den akademischen Diskursen über den Buddhismus eher unterrepräsentiert sind.“ Um ein tieferes Verständnis ihrer Geschichte zu erlangen, sei es von grundlegender Bedeutung, die Originalsprachen zu kennen, betont er. Dazu gehören neben den indischen Sprachen wie Sanskrit und Pali auch Tibetisch und Chinesisch.

„Viele buddhistische Quellen wurden noch nie untersucht oder bearbeitet, geschweige denn übersetzt“, räumt Tournier ein und fügt hinzu, dass viele Texte nicht mehr in ihrem indischen Original erhalten sind und wir nur durch chinesische oder tibetische Übersetzungen Zugang zu ihnen haben. Dem Professor ist es ein Anliegen, auch seine Studierenden mit diesen Sprachen vertraut zu machen. „Diese", ist er sich sicher, „ermöglichen einen unmittelbaren Zugang zu dieser außergewöhnlich komplexen Gedankenwelt und zur Schönheit der indischen und buddhistischen Literatur.“

© LC Productions

Inschriften in Kupfer und Stein

Tournier war bereits als Doktorand und später als Gastwissenschaftler in München und an der LMU. Das Institut für Indologie und Tibetologie, das er heute leitet, gilt weltweit als ein Zentrum für die Erforschung des Buddhismus und ist international sehr gut vernetzt. Auf lokaler Ebene kooperieren seine Mitglieder mit Organisationen wie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW), wo derzeit zwei langfristige Projekte – zu einem tibetischen Wörterbuch und zu den frühen buddhistischen Manuskripten aus der Region Gandhāra in Pakistan – durchgeführt werden.

Tourniers Forschungen führten außerdem zu seiner Beteiligung an dem europäischen Projekt „The Domestication of ‚Hindu‘ Asceticism and the Religious Making of South and Southeast Asia“ (DHARMA). Im Mittelpunkt von DHARMA steht die Analyse von Inschriften, also Texten, die in Materialien wie Kupfer und Stein eingraviert sind. Tournier spürt indische buddhistische Inschriften an archäologischen Stätten und in Museen auf, dokumentiert sie und interpretiert sie aus einer neuen wissenschaftlichen Perspektive. Diese Aufzeichnungen sind von höchster Bedeutung, um die Verbreitung, die Institutionalisierung und die Selbstdarstellung buddhistischer Gemeinschaften im alten Indien und darüber hinaus nachzuvollziehen.

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