Die Hoffnungen sind groß, dass die Quantentheorie revolutionäre Anwendungen abwirft. Die Physikerin Jasmin Meinecke untersucht das geheimnisvolle Phänomen der Verschränkung – ein Porträt aus der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins Einsichten.
Es dauert nicht lange im Gespräch mit Jasmin Meinecke, dann fällt zwangsläufig das magische Wort: Verschränkung. Ohne sie scheint nichts zu gehen in der Quantenwelt. Es sei eine geheimnisvolle Verbindung zwischen Photonen etwa oder Atomen, erklärt Meinecke. Man könne diese Teilchen dann nicht mehr getrennt voneinander betrachten, auch wenn sie sich weit voneinander entfernt aufhalten. „Spukhafte Fernwirkung“ nannte Albert Einstein diese unsichtbare Kraft einmal. Wirklich verstanden ist sie bis heute nicht.
Jasmin Meinecke interessiert sich für solche seltsamen Phänomene, sie will mehr lernen über eine Welt, die jahrzehntelange eher in der Theorie existierte. Auch weil sie so schwer zu beobachten ist. Die Quantentheorie gilt als eine der wirkmächtigsten physikalischen Theorien des 20. Jahrhunderts. Obwohl viele ihre Eigenheiten bis heute im Detail oft rätselhaft bleiben und nicht entschlüsselt sind, herrscht in jüngster Zeit ein besonders reges Interesse an potenziellen Anwendungen: vom extrem leistungsstarken, den herkömmlichen Rechnern überlegenen Quantencomputer über quantenkryptografisch abhörsicher verschlüsselte Kommunikation bis zu unglaublich genauen Quantensensoren, die völlig neue Messgeräte ermöglichen könnten. Getrieben wird diese aktuelle Euphorie von den faszinierenden Möglichkeiten der Quantenwelt selbst: Theoretische Überlegungen versprechen nämlich dramatische Verbesserungen im Vergleich zu klassischen Geräten. „Wir lernen gerade mehr darüber, was man mit verschränkten Teilchen machen kann“, sagt Meinecke.
Verschränkung im Wellenleiter
Beim mikrometergenauen Einkoppeln des Laserlichts in einen Lichtwellenleiter braucht Jasmin Meinecke Fingerspitzengefühl.
Wir lernen gerade mehr darüber, was man mit verschränkten Teilchen machen kann.
Dr. Jasmin Meinecke
Auch die junge Physikerin spürt diesen Sog im Spannungsfeld zwischen ambitionierter Grundlagenforschung und der großen Hoffnung auf baldige Anwendungen etwa bei Quantenrechnern. Meinecke, die am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching eine Nachwuchsgruppe leitet, will einerseits Grundlagenforschung betreiben und untersucht dafür Photonen, Lichtteilchen. Sie will gleichzeitig auch mögliche spätere Anwendungen im Blick behalten, etwa verstehen, wie man mit Quantensystemen physikalische und chemische Eigenschaften von Materie messen kann.
Jasmin Meinecke promovierte 2015 in Bristol, wechselte danach an die LMU, gehört auch zu den Forscherinnen des Exzellenzclusters MCQST, des Munich Center for Quantum Science and Technology, und erhielt im Januar 2020 ein sogenanntes Start-Fellowship. Das Programm soll es exzellenten PostDocs ermöglichen, innerhalb von zwei Jahren eigene Projekte aufzubauen. Sie erhalten dann eine Förderung von 300.000 Euro. Im Rahmen dieser Förderung untersucht Meinecke am Lehrstuhl von LMU-Physiker Harald Weinfurter sogenannte offene Quantensysteme, die im Austausch mit ihrer Umgebung stehen – etwas, was Forschende sonst unbedingt vermeiden wollen. Denn solche Systeme sind sehr empfindlich und werden durch äußere Einflüsse schnell gestört, eine Temperaturänderung oder eine Erschütterung können da ausreichen.
Wellenmuster im Glas
Für diese Experimente verwendet Meinecke Photonen, die sie in sogenannten integrierten Wellenleitern kontrolliert beobachtet. Das sind kleine, unscheinbare Glasplättchen, in deren Innerem eine Art Wegemuster eingeschrieben wird; das sind vorgefertigte Ausbreitungswege für die Lichtteilchen. Darauf bewegen sich verschiedene verschränkte Photonen aufeinander zu und entfernen sich wieder voneinander.
In ihrem Laborbuch oder auch auf Tafeln im Labor hat Meinecke solche Wellenmuster gezeichnet, geschwungene Bahnen, hübsch anzusehen. Im Glas sind sie von außen nicht zu erkennen. Mit diesem Experiment will die Forscherin verstehen lernen, wie etwa das Quantensystem und seine Umgebung Information austauschen und wie das die Quanteneigenschaften beeinflusst. „Mich fasziniert, wie und wann Quanteneigenschaften wie Kohärenz oder Verschränkung verlorengehen“, sagt Meinecke. „Quanteneigenschaften verschwinden nicht abrupt. Die Frage ist, wo die Information bleibt.“
Quanteninformationen verschwinden nicht abrupt. Die Frage ist, wo die Information bleibt.
Jasmin Meinecke
Auf Rekordjagd - EINSICHTEN-Gespräch über die anstehende Quantenrevolution
Seit einigen Jahren gelingt es Forscherinnen und Forschern tatsächlich immer besser, mithilfe solch vergleichsweise einfacher Experimente quantenmechanische Konzepte wie Überlagerung und Verschränkung besser zu verstehen und auch für technologische Anwendungen zu nutzen. Verschränkung ist dabei nicht nur eine der wichtigsten Eigenschaften von Quantenteilchen, sondern die Kernressource vielversprechender Quantentechnologien.
Ihr Gebiet, die experimentelle Quantenoptik, beruht letztlich auf der Fähigkeit der Forscher, Licht, Materie und ihre Wechselwirkung immer besser steuern zu können. Es ist ein Gebiet, in dem insbesondere der Münchner Exzellenzcluster viel Expertise versammelt und breite Kooperationsmöglichkeiten bietet. Meinecke hat sich auch deshalb die Photonen als Experimentierplattform ausgesucht, „weil sich die Lichtteilchen gut kontrollieren lassen“, sagt Meinecke, leichter als Festkörpersysteme mit Atomen, die oft sehr empfindlich gegenüber ihrer Umgebung sind und oft nur bei extrem niedrigen Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt als Plattform für Versuche dienen können. Photonen haben zudem viele Eigenschaften, die für spätere Anwendungen benötigt werden, sie lassen sich etwa in Glasfaserkabeln, wie sie in der Telekommunikation verwendet werden, gut weiterleiten und sind auch leicht zu erzeugen.
Prinzipiell lassen sich verschiedene Eigenschaften der Photonen für die Verschränkung nutzen, die Polarisierung der Lichtteilchen, die Farbe des Lichts, also die Wellenlänge, die Energie, der Spin. Meinecke ist auch deshalb so begeistert von den Möglichkeiten der Photonen, weil ihre Versuche anders als die von Kollegen, die mit ultrakalten Atomen arbeiten, auf kleinem Raum realisieren lassen und sie die Fortschritte in der Miniaturisierung optischer Bauteile nutzen kann.
Das geheime Leben der Photonen
Tatsächlich sind die Aufbauten in ihrem Labor im Vergleich zu anderen Quantenexperimenten verblüffend einfach. Laser, ein Kristall, ein unscheinbares Glasplättchen und ein wenig Elektronik, um die Versuchsreihen auszuwerten. All das passt auf die Größe eines Küchentischs. Der Laser schickt sein Licht über ein Glasfaserkabel in einen nichtlinearen Kristall, in welchem aus den Lichtteilchen des Lasers Photonenpaare entstehen können, die verschränkt sind. Ob aus einem Photon des Lasers ein verschränktes Paar entsteht, ist purer Zufall.
Das ist der mysteriöse Teil des Experiments. Es ist ein Prozess, für den es lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit gibt, dass er klappt. Haben sich die Teilchen verschränkt, wird es für die Physikerin spannend. Sie können sich dann auf unterschiedlichen Pfaden durch die Wellenleiter bewegen. Nur was tun sie wirklich? Welchen Weg wählen sie? Bleibt die Verschränkung erhalten? Mit diesen scheinbar simplen Fragen begibt man sich hinein ins Dickicht der Quantenwelt. Meinecke formuliert die Fragen denn auch gleich nochmal grundsätzlicher: „Was passiert eigentlich mit den Teilchen, wenn man sie gerade nicht beobachtet?“
Für die LMU-Physikerin ist das nicht nur eine philosophische Frage. Beobachtung ist in der Quantenwelt ein wichtiges Thema. Denn einerseits weiß man über die Vorgänge im Wellenleiter nichts, solange man die Teilchen nicht beobachtet. Andererseits geht in der Regel schlagartig die Verschränkung zwischen den Photonen verloren, wenn man nur einen Zustand eines Photons misst, etwa seine Energie.
Die Eigenheiten des Quantum-Walks
Was also tun? „Wir arbeiten auch am schwachen Messen“, sagt Meinecke. Das ist Messen, ohne die Verschränkung komplett zu zerstören. Viele Forschergruppen interessieren sich für solche Themen, Kollegen vom MPQ haben jüngst eine Methode dafür entwickelt, die Verschränkung von zwei entfernten atomaren Qubits, den Quantenspeichern für Informationen, zu detektieren.
Für Laien sind solche Ergebnisse nicht immer leicht zu begreifen. Ein Gespräch mit Jasmin Meinecke ist denn auch ein Schnelldurchlauf durch viele exotische Themen der Quantenphysik. Sie erzählt von Bell-Zuständen und den Eigenheiten des Quantum-Walks, einer Art Zufallsspaziergang von Teilchen, und eben den integrierten Wellenleitern, die man mithilfe komplexer Strukturen innerhalb der Glasplättchen für verschiedenste Anwendungen nutzen können. „Sie bieten inzwischen die notwendige Stabilität und Miniaturisierung, um größere Versuchsanordnungen aufzubauen“, so Meinecke.
Integrierte Wellenleiter sind ein ideales Werkzeug zur Erforschung grundlegender quantenphysikalischer Fragen. Auch deshalb will Meinecke nun in weiteren Versuchsserien die Möglichkeiten integrierter Wellenleiterstrukturen als Quantensimulatoren testen. Dabei ließen sich verschränkte Photonen als Untersuchungsplattform nutzen, gerade weil die Quantensysteme empfindlich gegenüber winzigsten Störungen der Umwelt sind. Genau dafür will Meinecke Messtechniken entwickeln.
Offenbar mag sie die kleinen Experimente lieber als Versuche mit großen Lasern, wie sie auch noch aus vergangenen Jahren im Labor für Vielphotonenphysik in Garching stehen. „Tsunami“ steht auf einem dieser Laser, einem mächtigen, leistungsstarken Gerät. Damit ließen sich – mit deutlich aufwendigeren Aufbauten – bis zu sechs verschränkte Photonen erzeugen, nur wenige Labore erzeugen mehr verschränkte Paare. Der aktuelle Rekord liegt bei zwölf. Die Hoffnung ist dabei, dass man sie als Qubits für Quantencomputer nutzen könnte. Doch der Aufwand ist enorm, insbesondere, wenn man bedenkt, dass für nützliche Anwendungen ein Vielfaches an Photonen nötig wäre. „In China gibt es noch Forschergruppen, die immer neue Rekorde mit immer mehr verschränkten Teilchen vermelden“, erzählt sie. Für sie dieser Weg nichts, man verbrauche extrem viele Ressourcen und Laborzeit. „Und ich lerne dabei nicht mehr an Physik“, sagt sie. „Ein Forscher an einer Universität sollte auch eher fundamentales Wissen generieren.“
Inmitten des aktuellen Interesses etwa am Quantencomputer versucht die Forscherin, ihr Augenmerk auch weiterhin auf die Grundlagen zu richten. „Quantensimulatoren und vielleicht später auch Quantenrechner sind nicht einfach nur schnellere Rechner, die Probleme wie Optimierung von Wegen in der Logistik oder die Struktur und Wirkung neuer Moleküle berechnen können“, sagt Meinecke. „Es geht nicht einfach um einen Wechsel wie vom Dieselmotor zum Elektroantrieb. Es ist ein weiter Weg. Es ist einfach etwas völlig anderes, eine neue Art zu rechnen und die Welt zu verstehen.“
Dr. Jasmin Meinecke ist Postdoktorandin am Lehrstuhl für Experimentelle Quantenphysik der LMU und ist START Fellow im Exzellenzcluster Munich Center for Quantum Science and Technology (MCQST).
Lesen Sie weitere Beiträge aus der aktuellen Ausgabe von „EINSICHTEN. Das Forschungsmagazin“ im Online-Bereich und stöbern im Heftarchiv. Oder abonnieren Sie EINSICHTEN kostenlos und verpassen keine Ausgabe mehr.