Bis zu drei Milliarden Mal schlägt das menschliche Herz im Laufe des Lebens – ohne Pause und mit höchster Genauigkeit. Das liegt an einer Region innerhalb des rechten Vorhofs, dem Sinusknoten. Er arbeitet als Taktgeber des Herzschlags.
Heute weiß man, dass der Sinusknoten aus einer Gruppe spezialisierter Herzmuskelzellen besteht. Sie können die elektrische Erregung des Herzens auslösen. Dies geschieht bei gesunden Erwachsenen 60 bis 80 Mal pro Minute.
Außerhalb des Organismus würde das Herz weiterschlagen und seine Arbeit mit konstanter Frequenz verrichten. „Im Körper muss die Herzfrequenz aber je nach Aktivität reguliert werden“, sagt Dr. Stefanie Fenske, Arbeitsgruppenleiterin am Lehrstuhl für Pharmakologie des Departments Pharmazie (Lehrstuhlinhaber: Prof. Dr. Martin Biel) der LMU München. „Das geschieht durch unser autonomes Nervensystem, also durch den Sympathikus und den Parasympathikus.“
Doch wie läuft die Regulation im Detail? Seit Jahrzehnten vermuten Forscher, dass spezielle Ionenkanäle eine entscheidende Rolle spielen. Sie werden die HCN-Kanäle (hyperpolarization-activated cyclic nucleotide-gated cation channels) genannt. Im Sinusknoten des Herzens gibt es die Subtypen HCN1, HCN2 und HCN4. Weiter vermutete man, dass ein spezielles Signalmolekül des Sympathikus, das zyklische Adenosinmonophosphat (cAMP), die Aktivität der HCN4-Kanäle ankurbelt und dadurch den Herzschlag beschleunigt, so die Theorie.
Solche Modelle schienen zwar plausibel zu sein, konnten aber bisher in biologischen Systemen nicht bestätigt werden. Widersprüchliche Ergebnisse aus Tierexperimenten machten die Sache nicht besser. Auch brachten Untersuchungen genetisch veränderter HCN-Kanäle, wie sie bei verschiedenen Krankheiten aus der Humanmedizin vorkommen, keine klaren Ergebnisse.
Experimente mit Mausmodellen
„Um neue Erkenntnisse zu gewinnen, wurde in der Gruppe von Martin Biel ein neuartiges genetisches Mausmodel entwickelt, bei dem der HCN4-Kanal nicht mehr durch das autonome Nervensystem ansteuerbar ist“, berichtet Fenske. Das ging so: HCN4-Kanäle waren aufgrund gezielt eingebrachter Mutationen unempfindlich für zyklisches Adenosinmonophosphat. Die Mäuse zeigten daraufhin verschiedene Herzrhythmusstörungen. Teilweise war ihr Rhythmus zu niedrig, teilweise auch zu unregelmäßig. Symptome die dem Sinusknotensyndrom beim Menschen gleichen. Eine Regulation der Herzfrequenz aber, so zeigten die Versuche, war weiterhin möglich.
„Die Hypothese aus jedem Physiologie- und Pharmakologie-Lehrbuch zur Bedeutung der Ionenkanäle stimmt also nicht“, so die Wissenschaftlerin. „Wir wollten aber wissen, welche Funktion der Kanal im Herzen wirklich hat.“ Bei den Experimenten zeigte sich, dass HCN4 den Herzrhythmus stabilisiert, sprich überschießende Reaktionen auf die Aktivität des Sympathikus und des Parasympathikus ausgleicht – eine wichtige Aufgabe. Die Forscher haben einzelne Zellen des Sinusknotens untersucht und festgestellt, dass sie teilweise minutenlang pausieren, was zur Regulation der Herzfrequenz beiträgt. Bei ihren Arbeiten kooperierten die Münchner eng mit der Gruppe von Prof. Dr. Christian Wahl-Schott an der Medizinischen Hochschule Hannover, die wichtige Methoden zur Analyse des Mausmodels einbrachte.
Alle neuen Erkenntnisse gehen über die Grundlagenforschung hinaus und werden Einfluss auf zukünftige Therapien haben. „Unser Ziel ist, die Krankheitsmechanismen von Herzrhythmusstörungen zu verstehen“, sagt Fenske. „Es gibt aber auch Medikamente, die HCN Kanäle als Ziel haben. Unsere Studie liefert einen wichtigen Beitrag zur zielgerichteten Weiterentwicklung dieser Substanzen“. Sie plant, im nächsten Schritt zu untersuchen, ob es noch weitere, bisher unentdeckte Funktionen der verschiedenen HCN Kanäle im Herzen gibt, um das Bild abzurunden.Nature Communications, 2020