Thor Gottschal ist Jude, und will trotz der deutschen Historie gar nicht mehr weg aus diesem Land. Das liege zum einen daran, weil es non-binäre und homosexuell Menschen hier deutlich leichter hätten als in Israel. Zum anderen aber auch daran, weil der Chemie-Masterstudent jüdische Feste auf deutschem Boden feiern möchte. Dank des Deutschlandstipendiums hat der 26-Jährige trotz 19-Stunden-Tagen genug Geld, sich sein Studium an der LMU zu finanzieren.
Jüdische Tradition auf deutschem Boden zelebrieren
Thor Gotschal hat sich bei einem zweiwöchigen Schüleraustausch nach Leipzig verliebt. Nicht in eine Frau – er ist non-binär und homosexuell – sondern in Deutschland, die Sprache und die Kultur. „Ich war sofort begeistert, wie geil das Leben hier ist“, sagt der heute 26-Jährige. Das ist insofern außergewöhnlich, als er in Kfar Saba geboren und Jude ist. Anschließend begann er am Goethe-Institut in Tel Aviv Deutsch zu lernen. 2020 zog er nach München, um an der LMU Chemie und Biochemie zu studieren. Mittlerweile ist er Masterstudent.
„Ich habe mich schon immer für Naturwissenschaften interessiert“, erzählt Thor. In der Oberstufe habe er nur ein naturwissenschaftliches Fach belegen müssen, sich aber gleich für drei entschieden. Während seines verpflichtenden Militärdiensts in Israel war er nach dem Einstufungstest zwar Kommandant und Berater eines Datenanalyseteams. Später arbeitete er sogar in der Industrie in diesem Bereich. „Aber obwohl ich dabei gutes Geld verdient habe, war es einfach nicht das, was mich interessiert hat.“
Thor studiert an der LMU Biochemie
Thor ist säkularer Jude. Das heißt, er geht nicht in die Synagoge, feiert aber trotzdem alle traditionellen jüdischen Feste wie das Lichterfest Chanukka. „Es ist wichtig, jüdische Traditionen auf deutschen Boden zu zelebrieren“, betont der 26-Jährige. Dazu lädt er seine deutschen und nicht-deutschen Freunde ein und kocht für sie die traditionellen Gerichte. „Ich möchte ihnen meine Kultur näherbringen und zeigen, was es bedeutet, jüdisch zu sein“, erklärt er. Dabei dürften natürlich auch die dazugehörigen Lieder und Gebete nicht fehlen.
Ein weiterer Grund, warum Thor nach Deutschland gekommen ist, ist aber auch seine Homosexualität und nichtbinäre Geschlechtsidentität. „Obwohl ich im Zentrum von Israel gelebt habe, war das nicht die einfachste Erfahrung“, erzählt er offen. Manchmal habe es nur wegen seines Kleidungsstils Konflikte mit der Polizei gegeben. In Deutschland kann er sein, wie er will – und fühlt sich dabei sicher. Homophobie und Antisemitismus habe er in München bisher nicht erlebt. „Ich spiele sogar in einem queeren Rugbyteam“, sagt der Student und lacht.“ Er klammert sich an die Hoffnung, dass der Konflikt bald vorbei ist.
Sorgen bereitet Thor allerdings der Krieg in Israel. Wenige Tage vor dem Gespräch begannen die Terrorangriffe der Hamas auf das Land und die israelischen Gegenschläge mit tausenden Toten auf beiden Seiten. „Es ist eine ganz schwierige Situation für mich und alle Juden sowie Palästinenser“, sagt er. Zwar gehe es seiner Familie gut, sie würden weit weg von der Grenze zum Gazastreifen und dem Libanon wohnen. Aber was heißt „weit weg“ schon in einem Land, das nur knapp 500 Kilometer lang und maximal 135 Kilometer breit ist.
Entsprechend schwer fällt es Thor aktuell, sich auf sein Studium zu konzentrieren. „Ich versuche, die Situation auszublenden, weil ich mein Leben weiterführen will“, berichtet er. Das sei aber natürlich nicht einfach, weil der Krieg neben der Familie auch Freunde betreffe. Einige davon seien jetzt vom Militär in den Reservedienst eingezogen worden und müssen wohl früher oder später an die Front. „Und natürlich habe ich immer das Leid der Kinder auf beiden Seiten vor Augen.“ Er klammert sich an die Hoffnung, dass der Konflikt bald vorbei ist.
Zumindest eine Sorge hat Thor nicht mehr: Die, wie er sein Studium finanzieren soll. Denn gleich zu Beginn seines Studiums hat er sich für das Deutschlandstipendium beworben – mit Erfolg. „Von dem Geld kann ich genau meine Wohnheim-Miete zahlen“, erzählt er freudig. Seine Familie unterstützt ihn finanziell nicht. Ohne das Stipendium müsste er neben seinem Job als Tutor und Praktikumsbetreuer wieder als Datenanalytiker arbeiten. „Dann könnte ich mich kaum noch auf mein Studium konzentrieren.“ 19-stündige Labor- oder Bürotage seien bei ihm keine Seltenheit.
Trotz der Historie – Thor fährt regelmäßig mit Kippa nach Dachau, um sich den Holocaust in Bayern zu vergegenwärtigen – sieht er seine Zukunft in Deutschland. Erst mal will er einen guten Abschluss hinbekommen, danach Professor werden. „Menschen etwas beibringen und Wissenschaft weitergeben fühlt sich einfach gut an“, sagt der Stipendiat und grinst. Nach jeder Übungsstunde und Laborzeit fühle er sich voller Energie. Forschen und Lehren sei es, was er im Leben machen will. „Und wenn ich dafür auch noch Geld bekomme: Was gibt es Besseres?“
Fördern Sie mit dem Deutschlandstipendium
Das Deutschlandstipendium an der LMU lebt von der Unterstützung von Unternehmen, Stiftungen oder Privatpersonen. Ihre steuerlich absetzbare Spende in Höhe von 150 Euro pro Monat wird von der Bundesregierung verdoppelt und kommt ohne Abzüge bei den Stipendiatinnen und Stipendiaten an. So können sich junge Menschen auch in Krisenzeiten wie diese ohne Geldsorgen um die Zukunftsfragen unserer Gesellschaft kümmern.