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Klima: Wer kann es, soll es richten?

22.05.2023

Ann-Katrin Kaufhold ist Expertin für Öffentliches Recht und forscht daran, wie Banken, Gerichte und andere Institutionen zum Klimaschutz beitragen können.

Ann-Katrin Kaufhold ist Expertin für Öffentliches Recht und forscht daran, wie Banken, Gerichte und andere Institutionen zum Klimaschutz beitragen können.

Ann-Katrin Kaufhold ist Inhaberin des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht. | © LMU

Ann-Katrin Kaufhold ist Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht und leitet zusammen mit Professor Rüdiger Veil die internationale Forschungsgruppe „The Institutional Architecture for a 1.5 °C World“ am Center for Advanced Studies der LMU. Ihr Interesse gilt der Frage, welche Institutionen geeignet dafür sind, effektiven Klimaschutz zu betreiben.

Gerade wird wieder heiß diskutiert, was die richtigen Maßnahmen im Klimaschutz sind und ob wir die Wende noch rechtzeitig schaffen. Wie stellt sich das aus Ihrer Sicht dar? Läuft es gut in Sachen Klimaschutz?

Ann-Katrin Kaufhold: Ich fürchte, das lässt sich sehr klar beantworten: Nein, es läuft nicht gut. Wenn es so weitergeht wie bisher, werden wir die Klimaziele, die wir uns auf nationaler und internationaler Ebene gesteckt haben, krachend verfehlen. Das hat jüngst auch wieder der Expertenrat für Klimafragen in Deutschland betont.

Wer kann es jetzt noch richten? Wem sollten wir die Aufgabe anvertrauen, das Klima zu schützen?

Ich glaube, der springende Punkt ist, dass wir diese Aufgabe nicht einer einzelnen Institution, einer einzelnen Person oder einem einzelnen Sektor übertragen können. Wenn wir über eine gesamtgesellschaftliche Transformation sprechen, und die braucht es, dann müssen wir an allen Stellschrauben drehen. Und das betrifft Institutionen genauso wie den Einzelnen. Wir müssen Routinen brechen und zu einem anderen Zusammenwirken aller Sektoren finden. Natürlich muss man sich dann die Frage stellen: Wer kann was leisten? Aber aus meiner Sicht führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns in allen Sektoren grundlegend bewegen und verändern.

Die wohlhabendsten zehn Prozent der Bevölkerung tragen besonders stark zur Klimakrise bei und haben womöglich auch die stärksten Hebel in der Hand. Liegt die Zukunft also in den Händen der Reichen?

In einer Demokratie muss die Antwort auf diese Frage Nein sein. Es ist sicher richtig, dass Menschen mit großem Wohlstand im Moment auch einiges bewegen könnten. Mangelnder Klimaschutz wird zu einer Spaltung der Gesellschaft führen, bei der sich einige wenige rauskaufen und der Rest schauen kann, wo er bleibt. Wenn wir das nicht verhindern, haben wir tatsächlich ein großes Problem.

Es sind aber nicht nur reiche Personen, die es richten können. Wir alle haben über viele verschiedene Hebel Einfluss darauf, was „die Reichen“ machen. Wir können uns fragen: Wem stelle ich meine Arbeitskraft zur Verfügung? Wo kaufe ich ein? Wem gebe ich meine Stimme bei der nächsten Wahl? Es ist richtig, dass sich derzeit die Wohlhabenden besonders klimaschädigend verhalten und auch deshalb faktisch eine besondere Verantwortung tragen. Aber das ist nicht in Stein gemeißelt. Es müsste nicht so sein und es sollte nicht so sein.

Welche Debatten sollten Ihrer Meinung nach mehr stattfinden?

Die Debatte darüber, wo wir hinwollen. Ich meine damit kein CO2-Budget, sondern die Frage: Wie kann ein gutes Leben aussehen, das sich innerhalb der planetaren Grenzen bewegt? Gut gemachter Klimaschutz bringt in aller Regel auch einen Vorteil für die Betroffenen mit sich. Über diese positiven Visionen wird relativ wenig gesprochen. Stattdessen führen wir ausschließlich eine Verzichtsdebatte.

Was ist die Energie der Zukunft?

In welche Richtung sich die Wirtschaft bewegt, wird auch an den Finanzmärkten mitentschieden.

Viele Menschen haben Angst vor dem gesellschaftlichen Wandel, weil sie um ihren Lebensstandard fürchten. Ist der Wohlstand gefährdet?

Der Wohlstand ist vor allem dann gefährdet, wenn wir nichts tun. Dann werden wir aufgrund des Klimawandels erhebliche Wohlstandsverluste erleiden. Stellt man sich aber die Frage, ob der notwendige Wandel, wenn wir ihn denn schaffen, Verzicht und Wohlstandsverlust mit sich bringt, kommt es darauf an, wie man Wohlstand definiert. Geht es um Wohlbefinden? Darum, ein Leben zu führen, das einem gefällt? Das ist meiner Ansicht nach auch CO2-neutral möglich. Wenn Wohlstand bedeutet: Es muss alles so weitergehen wie bisher – dann wird das nicht klappen.

Wer sind die Institutionen, die die Klimazukunft aktiv gestalten können?

Natürlich denkt man in solchen Fragen zunächst an Parlament und Regierung. Wir stellen aber leider fest, dass sie das Thema nicht schnell genug voranbringen. Deswegen muss man überlegen, wie man das Tableau der Institutionen erweitert.

In den letzten Jahren sind zwei weitere Akteure auf den Plan getreten: Zum einen die Gerichte, die deutlich machen, dass Klimaschutz auch eine menschenrechtliche Dimension hat. Zum anderen die Zentralbanken, die mal mehr, mal weniger versuchen, ihre Geldpolitik grün zu gestalten. Daneben gibt es eine Reihe von Institutionen, die man extra für den Klimaschutz geschaffen hat, in Deutschland zum Beispiel den Expertenrat für Klimafragen und den Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung, auf europäischer Ebene die Platform on Sustainable Finance und international das Network for Greening the Financial System. Bei so vielen Akteuren kann man sich fragen: Wer macht es am besten, am effizientesten, am effektivsten? Und wie sollte das Zusammenspiel der Institutionen aussehen, damit sie sich möglichst gegenseitig stärken und nicht behindern?

Worin liegen die Schwächen und Stärken von Parlamenten, Gerichten und Zentralbanken, wenn es um Klimaschutzmaßnahmen geht?

Ein häufig thematisiertes Defizit von Parlamenten mit Blick auf Klimaschutz ist die Tatsache, dass sie auf Wiederwahl angewiesen sind. In der Folge tendieren sie wohl dazu, unpopuläre Maßnahmen nicht zu unterstützen. Gleichzeitig sind Parlamente politisch stark legitimiert, weil wir sie alle paar Jahre wiederwählen. Ihre Entscheidungen sollten daher im Prinzip auf besonders breite Akzeptanz stoßen.

Gerichte oder Zentralbanken, auf der anderen Seite, sind unabhängig. Damit eignen sie sich zunächst einmal besser, unpopuläre Maßnahmen anzuordnen. Dafür besteht bei ihnen das Risiko, dass diese Maßnahmen nicht in gleicher Weise Akzeptanz finden. Außerdem sind sie häufig schwerer revidierbar, was in einem Bereich wie dem Klimaschutz, in dem vieles erstmals erprobt wird, auch zu einem Problem werden kann.

Inwiefern ist gesellschaftliche Zustimmung Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit von Institutionen?

Keine Institution kann auf Dauer gegen eine Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung agieren. Auch das Bundesverfassungsgericht etwa ist darauf angewiesen, dass die anderen Institutionen seine Entscheidungen umsetzen. Es fällt seine Urteile unabhängig, aber wenn die Umsetzung auf massiven Widerstand stößt, ist das auf Dauer nicht durchhaltbar. Damit will ich natürlich nicht sagen, Gerichte sollten darauf schielen, was die Mehrheit von ihnen erwartet. Aber ob ihre Urteile verstanden und akzeptiert werden, entscheidet mit darüber, wie groß ihr Einfluss ist.

Was hat der Finanzsektor mit dem Klimawandel zu tun?

Finanzmärkte sind die Orte, an denen entschieden wird, wo privates Kapital hinfließt. Laut IPCC brauchen wir jährlich Investitionen von circa zweieinhalb Billionen Dollar, um die Klimaschutzziele noch zu erreichen. Es ist klar, dass die Staaten das nicht alleine leisten können. Wir brauchen privates Kapital, das in klimaschützende Maßnahmen investiert wird.

Wir müssen uns also fragen: Wie können wir den Finanzsektor so ausgestalten, dass er den Wandel der Gesellschaft unterstützt? Wie können wir Anreize dafür schaffen, in nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeiten zu investieren? Insofern ist der Finanzmarkt ein wichtiger und sehr mächtiger Hebel, um wirtschaftlichen Wandel anzustoßen.

Die Lenkungswirkung der Finanzmärkte basiert auf Prognosen zu klimabedingten Risiken und wie sich bestimmte Maßnahmen auswirken werden. Inwiefern spielen die Annahmen, die man für die Zukunft macht, eine Rolle?

Für die Finanzmärkte sind solche Szenarien extrem wichtig bei der Bewertung des Risikos einer Investition. Ein zentraler Punkt für die Akteure im Finanzsektor ist die Frage: Wird ein Unternehmen, in das ich investiere, auch in zehn Jahren noch so funktionieren? Oder werden die erwarteten Transformationsprozesse bzw. mögliche Klimaschäden dazu führen, dass dieses Unternehmen nicht mehr rentabel ist? Indem ich als Investorin entscheide, wem ich mein Geld gebe, bestimme ich darüber, welche Branche weiterlebt.

Wenn Investorinnen z.B. davon ausgehen, dass der Verbrennungsmotor auf Dauer Erfolg haben wird, spricht viel dafür, dass der Verbrennungsmotor deshalb auch eine Zukunft hat. Oder andersherum: Wenn ich an Windenergie glaube und dort viel Geld investiere, befördere ich diese Entwicklung. Was an den Finanzmärkten prognostiziert wird, kann also zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden.

Im Moment werden diese Szenarien und die damit verbundenen Investitionen im Wesentlichen von den Finanzinstituten und Unternehmen gesteuert. Das ist ein Problem. Denn diese Entscheidung ist nicht etwas, das man berechnen oder aus Erfahrungen ableiten kann, sondern letztlich eine politische Setzung, eine Richtung, die man vorgibt. Deshalb wäre es wichtig, diesen Prozess zu demokratisieren und zum Gegenstand der öffentlichen Debatte zu machen. Der Finanzsektor verfügt über unglaubliches Potenzial und entscheidet, wohin wir uns bewegen. Und an dieser Entscheidung sollte die gesamte Gesellschaft teilhaben.

Ann-Katrin Kaufhold

Wer sind die Institutionen, die die Klimazukunft aktiv gestalten können?

Ann-Katrin Kaufhold ist Expertin für Öffentliches Recht und forscht daran, wie Banken, Gerichte und andere Institutionen zum Klimaschutz beitragen können.

© LMU

Welche Rechtsgrundlage haben Umwelt- und Klimaschutz momentan international, innerhalb der EU und in Deutschland?

International ist das Pariser Klimaschutzabkommen der zentrale Referenzpunkt der Debatte. Was dann auf europäischer und nationaler Ebene folgt, ist immer das Bemühen, die Pariser Klimaziele umzusetzen. Oder sollte es zumindest sein. Auf europäischer Ebene tut sich relativ viel. Wir haben als Teil des Green Deals mit „Fit for 55“ ein zentrales Gesetzgebungspaket und die CO2-Bepreisung ist zuletzt noch einmal auf weitere Sektoren ausgeweitet worden. Auf nationaler Ebene gibt es das Klimaschutzgesetz als wichtige Weichenstellung.

Welche Rolle spielt das Grundgesetz?

Man hat dem Grundgesetz in der Vergangenheit in Sachen Klimaschutz nicht so viel zugetraut. Das hat sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2021 grundlegend gewandelt. Danach hat Deutschland eine Verpflichtung, sein nationales CO2-Budget einzuhalten und vorausschauend zu planen. Wenn wir zu lange mit klimaschützenden Maßnahmen warten würden, müssten diese so massiv und einschneidend sein, dass von den Freiheitsrechten der Bevölkerung nicht mehr viel übrigbliebe. Das muss der Gesetzgeber verhindern.

Darüber hinaus ist Deutschland verpflichtet, sich auf internationaler Ebene für Klimaschutz einzusetzen. Warum? Weil Deutschland allein das Klima nicht retten kann. Deshalb sagt das Bundesverfassungsgericht: Der deutsche Staat hat auch die Verpflichtung, sich auf internationaler Ebene für Klimaschutz zu engagieren und die eigenen Verpflichtungen einzuhalten. Nur so kann das Vertrauen entstehen, dass alle ihren Beitrag leisten und kein Staat die anderen als Trittbrettfahrer ausnutzt.

Wenn solche Rechtsgrundlagen gebrochen werden, hat man die Möglichkeit, dagegen zu klagen. Welche Bedeutung haben Klimaklagen?

Klimaklagen haben inzwischen eine Bedeutung angenommen, die man sich vor fünf bis zehn Jahren gar nicht vorstellen konnte. Ihre Anzahl wächst weltweit exponentiell, die Ergebnisse sind ambivalent. In Deutschland gibt es einerseits die grundstürzende Klimaschutzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, andererseits wurden danach auch eine Reihe von Verfassungsbeschwerden, etwa gegen Klimaschutzgesetze der Länder, abgewiesen.

Interessant ist, dass es nicht nur um Menschenrechte geht, sondern auch um Haftung. Ein Beispiel ist das berühmte Verfahren eines peruanischen Bauern gegen den Konzern RWE. Der Bauer musste Schutzwälle bauen, um sich vor Überflutungen zu schützen, und fordert dafür Ersatz von RWE. Wenn solche Klagen Erfolg haben, ist das natürlich ein mächtiger Hebel, der sich übrigens auch wieder auf die Finanzmärkte auswirken wird. Wenn die Investoren von RWE wissen, dass der Konzern in Zukunft für Klimafolgen haftbar gemacht werden kann, mindert das den Anreiz, Geld in CO2-intensive Wirtschaftszweige zu stecken.

Ann-Katrin Kaufhold

Wie schafft man Institutionen, die effektiven Klimaschutz ermöglichen?

Dieser Frage widmet sich Ann-Katrin Kaufhold im Zuge der neuen CAS Research Group: The Institutional Architecture for a 1.5 °C World. | © LMU

Wie erforschen Sie Institutionen und ihre Eignung als Klimaschutzakteure?

Im Oktober startet unsere neue Forschungsgruppe am Center for Advanced Studies der LMU. Wir werden verschiedene Institutionen unter die Lupe nehmen, die mögliche Kandidaten für den Klimaschutz sind. In der ersten Phase erarbeiten wir einen Katalog von Eigenschaften, den wir als analytisches Instrument nutzen können, um Institutionen zu charakterisieren. Diese Kategorien sollen es uns ermöglichen, herauszufinden, ob und in welcher Weise eine Institution zum Klimaschutz beitragen kann. Damit hat sich die Wissenschaft bisher erstaunlich wenig beschäftigt.

Im zweiten Schritt versuchen wir dann, diese Erkenntnisse auf unterschiedliche Institutionen anzuwenden. Zum einen Institutionen, die wir schon lange kennen: Parlamente, Regierungen, Gerichte, Zentralbanken. Zum anderen Institutionen, die speziell für den Klimaschutz geschaffen wurden oder noch geschaffen werden sollen.

Das machen wir nicht nur in Deutschland oder Europa, sondern auf internationaler Ebene. Wir arbeiten in der Arbeitsgruppe mit internationalen Fellows zusammen und können das Thema so weltumspannend abdecken. Unser Ziel ist es, am Ende einen Bewertungsrahmen für Institutionen zu haben. Im Idealfall können wir sogar Vorschläge entwickeln, wie man Institutionen hin zu besserem Klimaschutz verändern kann.

Wir suchen also Antworten auf die Frage: Wie kann man Institutionen schaffen, die einerseits gesellschaftlichen Rückhalt haben und andererseits effektiven Klimaschutz ermöglichen?

Prof. Dr. Ann-Katrin Kaufhold ist Expertin für Öffentliches Recht und Inhaberin des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der LMU. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören das Klimaverfassungsrecht und die Sustainable-Finance-Regulierung. Gemeinsam mit Prof. Dr. Rüdiger Veil leitet sie die Forschungsgruppe „The Institutional Architecture for a 1.5 °C World“ am Center for Advanced Studies der LMU. Sie ist außerdem beteiligt an der Munich Climate School und Mitglied des Arbeitskreises Finanzmarktgesetzgebung beim Bundesministerium der Finanzen.

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