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Lernen, wie es mir liegt

14.05.2024

Das Schreibzentrum der LMU bietet erstmals einen Workshop an für Studierende, die mit traditionellen Lernmethoden schwer klarkommen: Interview mit Tutorin Ronja Habeck.

Tutorin Ronja Habeck vom Schreibzentrum der LMU

Empfiehlt zu reflektieren, was für einen selbst hilfreich ist: Tutorin Ronja Habeck. | © Schreibzentrum der LMU

Erstmals bietet das Schreibzentrum der LMU einen Workshop speziell für Studierende mit Neurodivergenz an. Ronja Habeck, die Germanistische Literaturwissenschaft im Master studiert und als Tutorin am Schreibzentrum arbeitet, leitet die Veranstaltung – und erklärt im Interview, wie ein individueller Lernplan dabei hilft, erfolgreich zu studieren.

Frau Habeck, was ist Neurodivergenz?

Ronja Habeck: Es ist ein Überbegriff für unterschiedlichste Symptomatiken, von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Autismus-Spektrum über Asperger-Syndrom und Hochsensibilität bis zu Dyslexie und etwa Dyskalkulie. Was alle vereint, ist eine von der Norm „abweichende“ Gehirnstruktur, die Reizaufnahme und Informationsverarbeitung anders verlaufen lässt als bei neurotypischen Menschen.

Unser Workshop richtet sich insbesondere an Betroffene, grundsätzlich aber an alle Studierenden, die mit traditionellen Lernmethoden schwer klarkommen.

Welche Schwierigkeiten sind das?

Viele haben Probleme mit Aufmerksamkeit, mit fest vorgegebenen Strukturen oder dem Bewältigen der Informationsflut. Ihnen fällt es etwa in der Vorlesung schwer, zwei Stunden am Stück konzentriert zu sein. Oder sie haben Probleme, sich lange mit dem gleichen Hausarbeitsthema zu beschäftigen. Für andere funktioniert die übliche Herangehensweise beim Verfassen einer solchen Arbeit nicht: erst Recherche, dann Gliederung, dann Schreiben des Texts – beginnend mit der Einleitung.

Vor einer Prüfung fühlen sich manche von der Informationsflut des Lernmaterials überwältigt, was zu Blockaden führt. Und andere empfinden es grundsätzlich als große Herausforderung, ihren Lernalltag mit all seinen Regeln und Freiheiten zu managen.

Wie kann der Workshop helfen?

Weil sich die Symptomatiken auch innerhalb der verschiedenen Formen von Neurodivergenz sehr unterschiedlich auswirken, lehren wir im Workshop allgemeine Techniken, aus denen Studierende sich etwas Passendes heraussuchen können. Schwerpunkte werden Selbstmanagement, Strukturierung, Ordnung und Motivation sein, die Bedeutung von Pausen sowie das Gleichgewicht zwischen Uni und Freizeit. Unser Ratschlag ist es, sich grundsätzlich von vorgegebenen Lern- und Arbeitsmustern frei zu machen und zu überlegen: Wie kann ich persönlich besser lernen und arbeiten?

Springen zwischen Arbeitsschritten

Wie kann das aussehen – etwa bei einer Hausarbeit?

Wenn sich jemand schwertut, die Hausarbeit mit der Einleitung anzufangen und dann nach klassischem Schema runterzuschreiben, sollte er sich von dieser Struktur zu lösen versuchen. Der- oder diejenige könnte zum Beispiel nicht lange an einem Absatz der Hausarbeit arbeiten, sondern immer dort, wozu der Person etwas einfällt. Das braucht oft mehr Zeit, weil am Schluss alles zusammengefügt und Übergänge geprüft werden müssen, kann aber insgesamt hilfreich sein.

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Was hilft, wenn das Lernpensum vor einer Prüfung einen überwältigt?

Wichtig ist ein Lern- oder Zeitplan, der den eigenen Bedürfnissen angepasst ist. Wenn ich jemand bin, der gern zwischen verschiedenen Arbeitsschritten hin und her springt, könnte mir ein Lernplan helfen, der mir das ermöglicht und mich trotzdem kontrollieren lässt: Komme ich mit der Arbeit voran?

Manche Menschen mit Neurodivergenz entwickeln bei der Recherche einen Tunnelblick und verheddern sich. Hier kann es helfen, die Arbeit in kleinere Schritte aufzuteilen oder einzelne Aufgaben zeitlich zu begrenzen.

Wer sich von Informationen überflutet und dann regelrecht blockiert fühlt, kann mit der kognitiven Technik der Mindmap versuchen, seine Gedanken bildlich zu strukturieren. Gerade Menschen im Autismus-Spektrum profitieren oft von solchen visuellen Lernreizen.

Welche Strategien gibt es in der Vorlesung?

Auch hier können Mindmaps von Vorteil sein: Eine zu jeder Veranstaltung, eine übergeordnete, die alle vernetzt, und Pfeile, die thematische Verbindungen visualisieren. Auch ein gutes Ablagesystem kann unterstützen: Wenn ich in der Vorlesung auf dem Laptop mitschreibe, ist ein geeignetes Ordnersystem nötig; mache ich meine Notizen auf Papier, muss ich den Namen der Vorlesung und das Datum unbedingt schon in die erste Zeile schreiben.

Was hilft, um sich grundsätzlich zum Lernen zu motivieren?

Man sollte sich immer mal wieder in Erinnerung rufen, warum man dieses Fach eigentlich studiert. Was interessierte mich ursprünglich so sehr an dem Thema? Das kann eine große Motivation sein. Denn wenn wir etwas mögen, fällt es uns automatisch leichter, etwas dazu zu lernen. Und gerade Menschen mit Neurodivergenz entwickeln oft stark ausgeprägte Interessen, eine große Begeisterung für ein bestimmtes Fach. In dieser Hinsicht kann Neurodivergenz beim Studieren sogar von Vorteil sein.

Wie viel Raum lässt die Universität für individuelles Lernen?

Ich denke, deutlich mehr als die Schule. Oft erfahre ich, dass Studierende dort nicht gelernt haben, wie man nachhaltig lernt. Stattdessen ging es darum, schnell etwas auswendig zu lernen und dann wiederzugeben. Im Studium tut man sich mit diesem Konzept auf Dauer schwer, weil Inhalte hier längerfristig behalten werden müssen und stärker aufeinander aufbauen. Vielen ist in der Schule auch der Spaß am Lernen vergangen – weil es oft mit Leistungsdruck und auch negativen Erfahrungen verbunden war.

An der Uni dagegen hat man viele Freiheiten, etwa wann im Tagesverlauf man lernt und wo, ob in der Bibliothek, zu Hause, der Lerngruppe oder im Freien. Zudem wird vieles digital bereitgestellt. Bekommt man in einer Vorlesung nicht alles mit, kann man es später super nachholen – etwa mit online bereitgestellten Arbeitsmaterialien oder einer Aufzeichnung der Veranstaltung.

Profitieren Studierende mit Neurodivergenz also von modernen Technologien?

Einerseits schon, weil viele Informationen nicht mehr unbedingt „live“ verarbeitet werden müssen, sondern das noch in der Nachbereitung möglich ist. Große Sprachmodelle wie ChatGPT helfen zudem, die Informationsflut zu reduzieren, indem sie Texte zusammenfassen. Sie sind aber auch gut darin, persönliche Zeitpläne zu erstellen.

Andererseits bergen digitale Technologien die Gefahr der Ablenkung – gerade bei Menschen, die ohnehin Schwierigkeiten haben, Informationen zu verarbeiten. Auch hier gilt es daher, genau zu reflektieren, was für einen selbst hilfreich ist. Denn mit individuell angepassten Lern- und Arbeitsweisen kann man auch mit Neurodivergenz sehr erfolgreich studieren.

Mehr zum Workshop:

Der Workshop „Lern- und Arbeitsmethoden mit Neurodivergenz“ findet am Freitag, 17. Mai, von 12 bis 14 Uhr statt. Die Präsenzveranstaltung ist Teil der Freitagsworkshops des Schreibzentrums der LMU. Andere Themen der Reihe lauten „Schreiben mit KI – Wie schreibe ich einen guten Prompt“, „Der rote Faden“ oder „Korrekt zitieren und Plagiate vermeiden“. Die Anmeldung erfolgt über das LSF-System: zur Anmeldung

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