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Schrittmacher für die Life Sciences

24.06.2024

Das Genzentrum steht für interdisziplinäre Spitzenforschung. Jetzt wird es 40. Im Interview lässt Direktor Karl-Peter Hopfner die wichtigsten Etappen Revue passieren und spricht über kommende Herausforderungen.

Genzentrum München

Das Gebäude des Genzentrums auf dem Campus Großhadern wurde 1994 bezogen. | © LMU/Jan Greune

Vier Jahrzehnte Spitzenforschung in den Lebenswissenschaften: Am 24. Juni feiert das Genzentrum der LMU sein 40-jähriges Jubiläum. Gegründet 1984 als gemeinsame Einrichtung der LMU und des Max-Planck-Instituts für Biochemie, verbindet es interdisziplinäre Forschung und Nachwuchsförderung und prägt die Life Sciences am Standort München und darüber hinaus. Professor Karl-Peter Hopfner leitet das Genzentrum seit 2015.

Was ist besonders am Genzentrum?

Karl-Peter Hopfner: Das Genzentrum hat seit seiner Gründung neben dem eigentlichen Auftrag, Molekularbiologie in der deutschen Forschungslandschaft zu stärken, zwei wichtige Merkmale: Das eine ist seine große Interdisziplinarität, die wir unter dem Slogan „Beyond Disciplines“ zusammenfassen. Das Genzentrum hat durch seine spezielle organisatorische Struktur außerhalb der klassischen Fakultäten die Möglichkeit, Fakultäten zu verknüpfen und Expertisen aus unterschiedlichen Bereichen hier in einem Gebäude zusammenzubringen.

Das zweite – ebenso wichtige – Merkmal ist seine von Beginn an führende Position bei der Förderung früher akademischer Unabhängigkeit. Die spezielle Förderung von Nachwuchsgruppen hat mit der Einrichtung der Institution begonnen und wurde weiterentwickelt in das sogenannte Tenure-Track-Modell, das ermöglicht, direkt nach der Postdoc-Phase – ohne die klassische Habilitation – auf eine Professur berufen zu werden, die nach einer Evaluation verstetigt wird.

Diese beiden Punkte haben wir über die letzten vier Jahrzehnte beibehalten und weiterentwickelt und es sind immer noch die wichtigsten Leitgedanken, denen das Genzentrum auch in der zukünftigen Universitätslandschaft folgen sollte.

Mit welchem Ziel wurde das Genzentrum gegründet?

Hopfner: Anfang der 80-er-Jahre war die junge Molekularbiologie stark im Kommen und Ernst-Ludwig Winnacker und Kollegen haben erkannt, dass sie nicht nur bahnbrechende neue Möglichkeiten in der Forschung innerhalb der Lebenswissenschaften bringen wird, sondern auch sehr interessante medizinische und industrielle Anwendungen. Unser Zentrum ist eines von vier Zentren, die damals im Rahmen eines bundesweiten Genzentren-Programms gegründet wurden, um diese neue Technologie in Deutschland zu halten und zu etablieren und dafür junge Forschende zu rekrutieren. Diese Zentren wurden dann Genzentren genannt und der Name Genzentrum ist dann hauptsächlich bei uns hängengeblieben. Der Gründungsname des Instituts war Laboratorium für Molekulare Biologie.

Entstanden ist es 1984 unter dem Gründungsdirektor Ernst-Ludwig Winnacker als gemeinsame Einrichtung der LMU und des Max-Planck-Instituts für Biochemie, in dessen Räumen das Genzentrum die ersten zehn Jahre auch beheimatet war, bevor unser Gebäude auf dem Campus Großhadern eingeweiht wurde.

© LMU/Jan Greune

Was sind ihre Hauptforschungsbereiche?

Hopfner: Wir haben drei große Standbeine: Das eine ist die lebenswissenschaftliche Grundlagenforschung, also die Frage, wie Zellen und die Moleküle in der Zelle funktionieren.

Das zweite Standbein hat sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren entwickelt. Das ist der Bereich Molekulare Systembiologie, in dem wir uns damit beschäftigen, wie Moleküle zusammenarbeiten, um lebende Systeme zu gestalten. Dabei geht es zum Beispiel um Genregulation, das Immunsystem, Zell-Zell-Kommunikation oder Zelldifferenzierung.

Im ersten Bereich haben wir also einen sehr fokussierten Blick auf Moleküle als Solisten und im zweiten einen etwas weiteren Blick auf das Orchester vieler Moleküle.

Das dritte Standbein ist die klinische Translation, an dem Gruppen aus den klinischen Wissenschaften, aus dem LMU Klinikum und auch aus der tiermedizinischen Fakultät beteiligt sind. Dort steht im Vordergrund, die Erkenntnisse aus der Forschung in Richtung therapeutische Anwendung zu entwickeln.

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Wenn Sie auf die Geschichte des Genzentrums schauen, welche Ereignisse haben die Entwicklung geprägt?

Hopfner: Nach der Gründung und der ersten Phase im MPI für Biochemie war sicher der Bau unseres Gebäudes 1994 ein Meilenstein, der auch für die Entwicklung des Campus Großhadern sehr bedeutend war. Außer dem Klinikum Großhadern und dem MPI waren hier eigentlich nur Wiesen und Äcker. Dann kam das Genzentrum dazu, danach folgten die Chemie, die Biologie und das Biomedizinische Centrum. Das hat sich alles auch ein bisschen um das Genzentrum herum entwickelt und mittlerweile haben wir einen wunderbaren Campus, den man in Deutschland so kein zweites Mal in den Lebenswissenschaften findet. Da hat das Genzentrum eine sehr strukturgebende Rolle gespielt.

Eine weitere wichtige Entwicklung war die Idee von Rudi Grosschedel, der das Genzentrum von 1998 bis 2003 leitete, aus seiner Erfahrung im angelsächsischen Bereich heraus das Tenure-Track-Modell zu etablieren. Ich finde, das war ein wirklich genialer Schachzug auch der Universität und der Fakultät, die dabei alle an einem Strang gezogen haben. Das hat uns über die letzten 20 Jahre wirklich geholfen, sehr kompetitiv tolle Leute aus aller Welt hierher berufen zu können.

Wie ging es weiter?

Hopfner: Weitere Meilensteine stehen in Verbindung mit der Exzellenzinitiative. Hier hat vor allem Patrick Cramer die Spitzenforschung am Genzentrum von 2004 bis 2013 enorm ausgebaut. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Chemie haben wir den ersten Exzellenzcluster CIPSM (Center for Integrated Protein Science Munich) ins Leben gerufen. Das war für das Genzentrum wichtig, wir hatten dann auch einen Sonderforschungsbereich und konnten zeigen, dass man hier exzellente Verbundforschung machen kann.

Und Ulrike Gaul, die 2009 als Humboldt-Professorin zu uns kam, hat dann in der nächsten Runde der Exzellenzinitiative sehr engagiert zusammen mit Patrick Cramer die Systembiologie am Genzentrum etabliert und die Graduiertenschule QBM organisiert, die zwischen Biochemie und Physik angesiedelt war.

Das BioSysM (Forschungszentrum für Molekulare Biosysteme) wurde 2016 eingeweiht. | © LMU

Später kam dann noch BioSysM dazu?

Hopfner: Ja, mit der Zeit sind wir so gewachsen, dass hier alles sehr beengt war. Deshalb hatte Patrick Cramer federführend zusammen mit Ulrike Gaul einen Antrag auf einen Erweiterungsbau gestellt, das BioSysM (Forschungszentrum für Molekulare Biosysteme), das 2016 eingeweiht wurde. Mit dem BioSysM haben wir sozusagen eine zweite Achse bekommen, die vor allem den Bereich Molekulare Systembiologie abdeckt. Die Strukturbiologie und die translationale Forschung sind mehr im ursprünglichen Genzentrum angesiedelt. Die Kunst ist natürlich, diese Richtungen synergistisch auszubauen und zusammenzubringen.

Das Genzentrum ist sozusagen ein Inkubator für interdisziplinäre Zusammenarbeit?

Hopfner: Genau. Eine Stärke des Genzentrums ist, dass das Ganze größer ist als die Summe der Einzelkomponenten. Das funktioniert natürlich nur, wenn es Synergien gibt und die Leute gut zusammenarbeiten. Wir haben relativ viele Veröffentlichungen, die aus mehreren Gruppen entstehen. Wenn man Leute beruft und sieht, dass die dann drei Jahre später gemeinsam eine Veröffentlichung machen, die gefeiert wird, was will man mehr?
Interdisziplinarität war mir immer sehr wichtig, und ich denke, dass wir am Genzentrum dafür geradezu prädestiniert sind. Dadurch dass wir hier Gruppen aus vier Fakultäten haben, leben wir sozusagen dieses Interfakultäre, und dadurch kommen sehr viele Kooperationen zustande. Das ist etwas, was ich auch immer weiter ausbauen möchte.

Gibt es auch in der Lehre Synergien?

Hopfner: Ja, wir sind auch da sehr aktiv. Wir haben gemeinsam mit dem Department Chemie einen Bachelorstudiengang, der ein sogenanntes Y-Modell ist. Die Studierenden fangen gemeinsam an und trennen sich später auf, entweder in Richtung Chemie oder Biochemie. Das ist in der deutschen Forschungslandschaft ein einzigartiger Studiengang, der viele Alleinstellungsmerkmale hat und sehr attraktiv ist. Wir denken gerade nach, dieses Portfolio mit etwas spezialisierteren Bachelor-Studiengängen zu erweitern. Da wollen wir auch neue Wege gehen, indem zum Beispiel die Systembiologie und die Biochemie verknüpft werden.

Außerdem haben wir einen internationalen Masterstudiengang in englischer Sprache, bei dem 40 bis 50 Prozent der Studierenden aus dem Ausland kommen. Wir fördern auch, dass unsere Studierenden im Masterstudiengang die Welt kennenlernen und zum Beispiel ihre Masterarbeit im Ausland machen. Das ist eine tolle und relativ einfache Gelegenheit, einmal im Ausland zu forschen.

© LMU/Jan Greune

Können Sie Beispiele für Innovationen nennen, die im Genzentrum entwickelt wurden?

Hopfner: Mein Lieblingsbeispiel kommt aus der Gruppe von Klaus Conzelmann aus der Virologie. Dort arbeitet man an viralen Systemen, unter anderem auch an Tollwut-Viren. Diese haben die Eigenschaft, Nervenzellen zu befallen. Die Gruppe hat dann ein System entwickelt, bei dem die Viren mittels eines Fluoreszenzfarbstoffs die befallenen Zellen anfärben – und auch alle Zellen, die mit dieser Zelle direkt verbunden sind. Dadurch kann man sichtbar machen, wie diese Zellen im Gehirn interagieren. Das ist natürlich wahnsinnig spannend und das System wird weltweit von Neurobiologen verwendet, um zu kartieren, wie Nerven im Gehirn verschaltet sind.

Eine zweite tolle Innovation aus dem Genzentrum, die man vielleicht gar nicht so auf dem Radar hat, wurde von Johannes Söding und Mitarbeitenden entwickelt und kommt eigentlich aus der Computational Biology. Sie dient dazu, Aminosäuresequenzen zu vergleichen und nach schwachen Homologien zu suchen, also nach fernen Verwandtschaften. Dadurch kann man sehr große Verwandtschaftsbeziehungen über die gesamte bekannte Lebenswelt aufbauen. Diese Technologie war sehr wichtig etwa für die KI AlphaFold2. Diese Art von KI-Modellen, die nicht nur die Struktur von Proteinen vorhersagen können, sondern sie generativ auch designen, basiert teilweise auf den Analysen der Technologie von Johannes Södings Team.

Dann haben wir natürlich sehr viele tolle Sachen in der Grundlagenforschung gemacht, etwa zur Transkriptionsmaschinerie, zur Ribosomen-Biologie, zum angeborenen Immunsystem, zur DNA-Reparatur, mitochondrialem Stress oder zum Chromatin. Das sind jetzt nicht klassische Innovationen in Form von Patenten, aber es ist Wissenschaft, die man in den nächsten Biochemie-Lehrbüchern findet. Das sind so unsere beiden Welten, Grundlagenforschung, aber auch angewandte Forschung.

In den letzten 40 Jahren haben sich bestimmt auch die technischen Möglichkeiten enorm geändert?

Hopfner: Da muss ich gar nicht 40 Jahre zurückblicken, da reichen sogar vier Jahre, dass sich alles dramatisch geändert hat und die Forschungswelt eine völlig andere ist. Die schnelle technologische Weiterentwicklung wird uns sicher in der Zukunft beschäftigen. Sie bringt natürlich auch ganz andere Möglichkeiten. Man muss sagen, viele Forschende am Genzentrum waren ihrer Zeit wahnsinnig voraus. Beispielsweise wurde an Gentherapien und Proteindesign und Proteinfaltung gearbeitet. Das waren tolle Projekte, die damals noch nicht wirklich durchschlagend waren, weil bestimmte technologische Fortschritte noch nicht vorhanden waren. Dadurch konnte man zum Beispiel nicht in der für Protein-Design erforderlichen Genauigkeit der Strukturvorhersage arbeiten, oder die Methoden der Gentherapie waren noch nicht genau und effizient genug.

Aber das kommt jetzt alles wieder, zum Beispiel durch CRISPR/Cas9. Die Gentherapie ist momentan sicher einer der sich am schnellsten entwickelnden therapeutischen Ansätze neben der mRNA-Technologie.

Und auch das Protein-Design hat sich durch die Generative KI weiterentwickelt. Das KI-Modell AlphaFold und KI-Entwicklungen im Proteindesign werden ganz andere Welten eröffnen, auch im therapeutischen Bereich oder in der Biotechnologie. Dieser rasante Fortschritt ist auch eine große Herausforderung für so ein Institut, weil man natürlich ein bisschen vorausplanen muss. Unsere Idee ist, dass wir uns technologisch relativ breit aufstellen, um in möglichst viele Richtungen gehen zu können, und das Ganze in ein Forschungsthema einzubetten, das uns zusammenhält.

Professor Karl-Peter Hopfner leitet das Genzentrum seit 2015. | © jan greune

Welches Thema wird zukünftig Ihr gemeinsamer Überbau sein?

Hopfner: Das ist für uns die Nukleinsäure-Biologie, die sich auch stark weiterentwickelt hat. Nukleinsäuren – also RNAs und DNAs – sind zum einen natürlich ein Forschungsthema, das fundamentale Prozesse in der Zelle in den Blick nimmt. Dazu gehört, wie Nukleinsäuren in der Zelle funktionieren, wie Proteine an sie binden, wie DNA-Schäden und Krankheiten entstehen. Aber Nukleinsäuren gerade in Form von RNA sind ja auch eine therapeutische Entität geworden und stehen aktuell im Zentrum der translationalen Forschung. Daher sind sie auch hier bei uns ein wichtiges Thema.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft des Genzentrums?

Hopfner: Ich denke, dass wir unser Motto „Science beyond Disciplines“ weiter ausbauen. Wir wollen mehr KI einbringen, um etwa in den Feldern Generative AI und Design dabei zu sein. Wenn wir das schaffen und durch unsere flachen Hierarchien und unsere Interdisziplinarität für Talente aus aller Welt attraktiv sind, dann sind wir auch für die nächsten Jahre bezüglich Spitzenforschung sehr gut aufgestellt.

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