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„Die Energieknappheit jetzt könnte zu einem Zuviel an fossiler Energie später führen“

14.11.2022

Ein Interview mit der Ökonomin Karen Pittel über die Zukunft der Energieversorgung und das Weltklima.

Prof. Karen Pittel steht neben einem Fenster und lächelt in die Kamera.

Prof. Karen Pittel

© ifo Institut

Prof. Dr. Karen Pittel ist Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Energie, Klima und erschöpfbare natürliche Ressourcen, an der Volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU und Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen. Sie war Mitglied der Gaspreis-Kommission der Bundesregierung.

Ist die aktuelle Energiekrise Bremse oder Chance für den Klimaschutz?

Karen Pittel: Beides. Eine Chance ist sie, weil wir jetzt zusätzlich viele Gründe haben, Energie einzusparen und in erneuerbare Energien zu investieren.

Bremse ist die Krise, weil wir in den kommenden zwei bis drei Jahren wohl einen höheren CO2-Ausstoß haben werden, etwa weil in der Industrie kurzfristig umgestellt wird von Gas auf Erdöl. Auch im Strombereich versucht man, wieder mehr Kohlekraftwerke ans Netz zu bringen.

Und über diese zwei bis drei Jahre hinaus?

Was mir Sorgen macht, ist, dass auf der ganzen Welt wieder mehr Erdgas- und möglicherweise auch mehr Erdölquellen erschlossen werden. Und das sind dann meist Produktionsstätten, die nicht zwei oder drei Jahre, sondern eher zehn Jahre oder noch länger aktiv sind. Das heißt, die Energieknappheit jetzt könnte zu einem Zuviel an verfügbarer fossiler Energie in ein bis zwei Jahrzehnten führen.

Gibt es genug ökonomische Anreize, in erneuerbare Energien zu investieren?

In einer Situation wie jetzt, wo sehr unsicher ist, wie es mit der Inflation und den Jobs weitergeht, trauen sich viele einfach nicht, in entsprechende Neuerungen zu investieren. Egal, ob das Unternehmen sind oder Haushalte. Das heißt, die Anlageinvestitionen finden eher nicht in dem Maß statt, das nötig wäre. Und auch der Staat muss ja investieren, da muss viel Infrastruktur ausgebaut oder finanziert werden. Und gleichzeitig ist momentan viel Geld notwendig, um die Menschen und die Unternehmen über die Krise zu bringen.

Braunkohlekraftwerk Boxberg

Braunkohlekraftwerk in Boxberg

© IMAGO / Shotshop

Ist Deutschland 2045 wirklich klimaneutral?

Technische Konzepte, wie man Deutschland CO2-neutral umgestalten könnte, gibt es seit geraumer Zeit. Warum sind wir noch nicht weiter?

Emissionsreduktionen sind auf private Investitionen angewiesen. 90 Prozent der Bruttoanlageinvestitionen sind privat finanziert. Diese Summen könnte der Staat alleine gar nicht stemmen.

Was der Staat allerdings tun kann, ist, entsprechende Rahmenbedingungen und Anreize zu setzen. Investitionen müssen sich aus privater Sicht rentieren, nicht unbedingt von heute auf morgen, aber doch über die Lebensdauer der Anlagen hinweg.

Dazu braucht es beispielsweise Sicherheit über CO2-Preise oder auch Förderungen. Unsicherheiten durch lange Genehmigungsprozesse können auch dazu führen, dass weniger Projekte in Angriff genommen werden. Das gilt für industrielle Anleger ebenso wie für Bürgergenossenschaften oder individuelle Investoren. Windenergie ist hier ein oft zitiertes Beispiel. Wenn es vier oder fünf, teilweise bis zu sieben Jahre dauert, bis eine Windenergieanlage genehmigt ist, dann geht es nicht nur langsam voran, auch die Investoren werden zurückhaltender.

Deutschland hat sich per Gesetz darauf verpflichtet, bis zum Jahr 2045 Treibhausgas-Neutralität zu erreichen. Schaffen wir das?

Das lässt sich schwer beantworten. Man muss sich einfach vor Augen führen, was alles umgestellt werden muss.

Nehmen wir nur den Verkehr als eines von vielen Beispielen: Da ist zunächst der komplette Wechsel in der PKW-Fahrzeugflotte, für den auch die Ladeinfrastruktur und der notwendige Strom da sein müssen. Soll zudem der Individualverkehr insgesamt reduziert werden, braucht es ein entsprechendes Angebot an öffentlichem Personennah- und -fernverkehr. Und dies ist der vergleichsweise einfachere Teil der Transformation.

Darüber hinaus fahren Lkws durchaus 30 oder 40 Jahre mit einem Verbrenner-Motor. Das heißt, die dürften eigentlich jetzt schon gar nicht mehr zugelassen werden. Zu diesen Herausforderungen kommt die Umstellung des Flugverkehrs und so weiter. Und das ist nur ein Sektor, da haben wir noch gar nicht über emissionsintensive Industrien wie Zement oder Stahl gesprochen. Es gibt zwar alternative, emissionsarme Technologien, aber viele von ihnen werden noch nicht in großem Maßstab eingesetzt, und die Kosten müssen noch erheblich sinken, um Technologien wie grünen Wasserstoff wettbewerbsfähig werden zu lassen.

Mit Sicherheit zu prognostizieren, dass wir 2045 klimaneutral sein werden, ist da nicht möglich – auch wenn das das gesetzlich vorgeschriebene Ziel ist.

Ist Energie sparen eine Frage des Geldes?

Viele Menschen machen sich aber weniger Sorgen, was in 40 oder 50 Jahren ist, sondern darüber, wie sie ihre nächste Gas- oder Stromrechnung bezahlen. Ist da schon genug getan?

Wenn die Gas- und die Strompreisbremse kommen, dann wird das schon massiv helfen. Trotzdem werden wir noch eine Absicherung für Notfälle brauchen, da wir mit unseren heutigen Möglichkeiten Haushalte oft nicht gezielt genug erreichen.

Faktoren wie der Energiepreis, den Haushalte zahlen, und ihr Verbrauch sind den Gas- oder Stromversorgern, die die Unterstützung auszahlen sollen, bekannt. Aber welcher Gas- und Stromkunde welches Einkommen hat, das weiß der Energieversorger nicht.

Wir wissen auch nicht, wie eine hohe Gasrechnung zustande gekommen ist. Wurde hier Gas verschwendet? Ist ein Haus schlecht isoliert oder hat jemand einen Pool im Keller? Einen hohen Gasverbrauch hat ja nicht nur der Besitzer der Villa mit Pool, sondern es gibt auch Menschen, die beispielsweise ein größeres unsaniertes Haus geerbt haben, aber selbst nicht viel verdienen. Die haben natürlich auch eine sehr hohe Gasrechnung.

Und die bekommen genug Unterstützung?

Die vorgeschlagene Gaspreisbremse orientiert sich ja am individuellen Verbrauch der Vergangenheit und den aktuellen Preisen. Das sollte die größten Lasten abfedern. Da die Menschen diese pauschale Zahlung auf jeden Fall bekommen, auch wenn sie sehr viel weniger Gas verbrauchen als im Vorjahr, bleiben die Anreize zum Gassparen erhalten.

Allerdings gibt es das Problem, dass die Leute ihren aktuellen Verbrauch nicht sehen, sondern die Rechnung erst Monate später bekommen. Da wäre es gut, weitere Instrumente einzusetzen. Zum Beispiel so etwas wie eine Gas-Verbrauchs-Ampel, möglichst pro Haushalt nach dem Muster: Rot – Wir erreichen ein gesetztes Gassparziel nicht. Grün – Wir erreichen es. Hier bieten sich als Ziel die 20% an, die wir im Durchschnitt sparen müssten, um eine Gasmangellage zu vermeiden.

Und wichtig wären auch kleinere Maßnahmen, die helfen, Gas einzusparen, ohne dass man zum Beispiel die Raumtemperatur senken muss. Also etwa Thermostate einzubauen oder sparsamere Duschköpfe. Da gibt es ganz viele Maßnahmen, die man über eine Energieberatung bekannt machen könnte.

Nachfrage nach fossilen Brennstoffen stoppen

Die Dekarbonisierung hat ja das Ziel, dass Länder, die Erdöl oder Gas unter der Erde haben, diese Bodenschätze dort lassen. Kann man arme Länder wie Nigeria, Venezuela oder Libyen dazu bringen?

Das ist eine der Kernfragen. Jeder Markt hat zwei Seiten: Nachfrage und Angebot. Wenn keiner mehr fossile Brennstoffe nachfragt, kann man sie auch nicht mehr verkaufen.

Das ist das, was die EU versucht: Umstellen auf andere Energieformen, damit keiner mehr fossile Energieträger kauft. Das Problem ist natürlich: Macht der Rest der Welt da mit? Inzwischen haben sich über hundert Staaten verpflichtet, um das Jahr 2050 herum klimaneutral zu werden. Aber die Politiken dafür sind in den meisten Ländern noch nicht da.

Ich bin zwar relativ optimistisch, was die EU angeht, aber was die globalen Klimaziele angeht, noch lange nicht so optimistisch.

Haben ärmere Länder Alternativen zum Verkauf von Öl und Gas?

Das ist ein Problem. Wenn man denen die Nachfrage nach Öl und Gas zerstört, müssen sie trotzdem überleben. Man müsste also alternative Industrien und Strukturen aufbauen.

Die Golfstaaten oder auch Norwegen beispielsweise sammeln Einnahmen aus fossilen Energien in Fonds und investieren in verschiedenste Bereiche, von Industrien bis Bildung, also zum Beispiel Universitäten.

In ärmeren Staaten sieht die Situation allerdings wesentlich schlechter aus. Die sind oft in hohem Maße von den Einnahmen aus den Fossilen abhängig, schaffen es aber nicht, diese zukunftsträchtig anzulegen. Gründe dafür gibt es viele, zum Beispiel schlechte oder fehlende Institutionen.

Aber Sie sehen die Chance, dass wirklich große Mengen Kohle, Öl oder Gas in der Erde bleiben?

Drücken wir es andersherum aus: Wenn Öl, Gas, Kohle nicht in der Erde bleiben, dann leben wir in Zukunft auf einem extrem warmen Planeten. Dann könnte die globale Temperatur nicht um drei Grad steigen, sondern um sechs Grad, teilweise gehen die Schätzungen sogar noch weiter. Und das ist keine Option.

Die Herausforderung wird also sein, Länder dazu zu bringen, diese Energieträger nicht aus der Erde zu holen.

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0:41 | 11.11.2022

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