Klimawandel: „Es kommt auf uns an“
11.11.2024
Was muss passieren, um die globale Erwärmung zu stoppen? LMU-Forschende zu den drängendsten Fragen
11.11.2024
Was muss passieren, um die globale Erwärmung zu stoppen? LMU-Forschende zu den drängendsten Fragen
Vom 11. bis 22. November 2024 findet die Weltklimakonferenz in Baku statt. LMU-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler verschiedener Disziplinen beleuchten die aus ihrer Sicht wichtigsten Herausforderungen:
„Ein rascher und massiver Ausbau von Klimaschutzmaßnahmen ist entscheidend, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. In Baku führen die Vertragsstaaten dazu wichtige Verhandlungen: In wenigen Monaten müssen sie ihre neuen nationalen Klimaschutzbeiträge veröffentlichen – aktuell führen diese jedoch nur zu einer Emissionsminderung von vier bis zehn Prozent bis 2030 gegenüber 2019.
Wie wir im „UN Emissions Gap Report” berechnen, reicht dies aber bei Weitem nicht: Um die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, müssen wir die Treibhausgasemissionen bis dahin um ganze 42 Prozent reduzieren. Werden die Länder nicht schnell deutlich ambitionierter, wird die Welt auf einen Temperaturanstieg von 2,6 bis 3,1 °C zusteuern. Dies kann zu irreversiblen Schäden an Ökosystemen führen und gefährdet die Lebensgrundlagen künftiger Generationen.
Um unsere Klimaziele nicht zu gefährden, brauchen wir zudem Verfahren, die das Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen – im Forschungsprogramm CDRterra untersuchen wir deren Potenziale und Risiken. Auf internationalen Konferenzen wie der COP29 tritt die Wissenschaft dazu in den Dialog mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dies ist essenziell, damit diese faktenbasierte Entscheidungen treffen können.“
Prof. Dr Julia Pongratz ist Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme der LMU.
Zur Multimedia-Story: Landnutzung ändern, Klima schützen
Prof. Pongratz ist auch am Global Carbon Project beteiligt.
Um unsere Klimaziele nicht zu gefährden, brauchen wir Verfahren, die das Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen.Prof. Dr. Julia Pongratz, Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme der LMU
„Die zentrale Institution ist und bleibt das Parlament, auch bei Klimaschutz und Klimaanpassung. Der grundlegende gesellschaftliche Wandel, den wir so dringend benötigen, kann nur von den Parlamenten ausgehen. Gerichte, Zentralbanken, Wissenschaft und Verwaltungsbehörden – sie alle müssen mitziehen und unterstützen. Sie können die Parlamente an ihre Aufgaben erinnern und verfügen über zum Teil mächtige Hebel, um Anpassungen umzusetzen. Aber in einer Demokratie kann keine Institution das Parlament als Motor gesellschaftlicher Veränderung ablösen.
Die Parlamente müssen die Richtung vorgeben und die Geschwindigkeit bestimmen. Das kann man angesichts des bisweilen schleichend langsamen Tempos, mit dem Projekte der sozial-ökologischen Transformation vorangetrieben werden, als frustrierend empfinden. Aber es bedeutet eben auch: Jede und jeder kann mit ihrer beziehungsweise seiner Wahlentscheidung beeinflussen, wie schnell wir welche Fortschritte machen. So muss es in einer Demokratie sein – es kommt auf uns an.“
Prof. Dr. Ann-Katrin Kaufhold ist Inhaberin des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht an der LMU.
Zum Interview: Klimawandel – Wer kann es, soll es richten?
Der grundlegende gesellschaftliche Wandel, den wir so dringend benötigen, kann nur von den Parlamenten ausgehen.Prof. Dr. Ann-Katrin Kaufhold, Inhaberin des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht an der LMU.
„Angesichts der geopolitischen Entwicklungen haben die internationalen Klimakonferenzen COP -Conferences of the Parties heute eine noch höhere Bedeutung als in der Vergangenheit. Sie bieten ein Forum für alle Staaten, gemeinsam den Klimaschutz voranzubringen. Dabei ist in Zeiten steigender Skepsis gegenüber Multilateralismus die Dringlichkeit internationaler Kooperation im Klimaschutz noch gewachsen.
Die Herausforderungen des Klimawandels erfordern ein kollektives Handeln, das sowohl reiche als auch arme Länder in den Fokus rückt. Einerseits müssen wohlhabende Nationen zusammenarbeiten, um eine reine Verlagerung von Emissionen zu verhindern und gleichzeitig Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen des Klimaschutzes auf ihre Wettbewerbsfähigkeit zu adressieren. Andererseits müssen reiche Länder ärmeren Staaten Unterstützung bieten und sie bei ihren Klimaschutz- und Anpassungsbemühungen stärken. Dies umfasst finanzielle Mittel, aber auch Technologietransfer und den Austausch von Wissen. Hier wurden zwar bei den letzten Klimakonferenzen Fortschritte erzielt, diese reichen aber noch bei Weitem nicht.
Die Zeit drängt: Um das Ziel der Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts zu erreichen, müssen wir jetzt handeln. Die Zusammenarbeit zwischen den Nationen ist dafür nicht nur wünschenswert, sondern unerlässlich.“
Prof. Dr. Karen Pittel ist Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Energie, Klima und erschöpfbare natürliche Ressourcen, an der Volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU und Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen.
Zum Interview mit Karen Pittel (von 2022): „Die Energieknappheit jetzt könnte zu einem Zuviel an fossiler Energie später führen“
Die Herausforderungen des Klimawandels erfordern ein kollektives Handeln, das sowohl reiche als auch arme Länder in den Fokus rückt.Prof. Dr. Karen Pittel, Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Energie, Klima und erschöpfbare natürliche Ressourcen
„Um die Biodiversität in den Meeren und speziell in Korallenriffen zu retten, sind sofortige, umfassende Maßnahmen erforderlich. Erstens müssen globale Treibhausgasemissionen drastisch reduziert werden, da die Ozeanerwärmung die Hauptursache für das Absterben der Korallen durch Korallenbleiche ist. Ein schnelles Vorantreiben der Energiewende und die Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens sind daher zentral.
Zweitens müssen Schutzgebiete massiv ausgeweitet werden, um sensible Meeresökosysteme vor Überfischung, Verschmutzung, Plastikmüll und zerstörerischen Fischereimethoden zu bewahren. Die Erhöhung der Wasserqualität insbesondere in Küstenregionen durch Reduzierung des Nährstoffeintrags aus der Landwirtschaft ist ebenso essenziell.
Drittens sollten die Forschung und Finanzierung für die Wiederherstellung und Anpassung von Korallenriffen gestärkt werden, um resistente Korallenarten zu fördern. Die UN-Klimakonferenz bietet die Bühne, um endlich verbindliche internationale Abkommen zu schaffen, die diese Maßnahmen in den Mittelpunkt stellen. Ohne sofortiges Handeln droht ein irreversibler Verlust der Meeresvielfalt und deren Ökosystemleistungen.“
Prof. Dr. Gert Wörheide ist Inhaber des Lehrstuhls für Paläontologie & Geobiologie an der LMU.
Zum Video: Nachgefragt bei einem Korallenforscher
Ohne sofortiges Handeln droht ein irreversibler Verlust der Meeresvielfalt und deren Ökosystemleistungen.Prof. Dr. Gert Wörheide, Inhaber des Lehrstuhls für Paläontologie & Geobiologie an der LMU
„Der globale Ozean ist die Lebensversicherung unseres Planeten. In den vergangenen Jahrzehnten hat er den menschgemachten Klimawandel massiv reduziert, indem er 91% der zusätzlichen Wärme im Erdsystem und 26% der menschlich verursachten Kohlenstoffemissionen aufgenommen hat. Dadurch hat er die weltweite Oberflächenerwärmung stark verlangsamt. Allerdings hat dieser Service auch einen hohen Preis: Der Ozean versauert, was eine Bedrohung für das Ökosystem und die Biodiversität im Ozean darstellt, und der Ozean überhitzt, was zu Sauerstoffverknappung, Meeresspiegelanstieg und einer Zunahme von Extremereignissen führt. Letztere bedingen Dürren, Waldbrände und Überflutungen, die bereits jetzt und in Zukunft verstärkt auftreten.
Zusammen mit der Erwärmung des Ozeans führen verstärkte Winde, das Abschmelzen polarer Eismassen und eine Verstärkung des Wasserkreislaufs zu einer Veränderung in der Zirkulation und Durchmischung im Ozean. Dadurch verändert sich auch die Funktion des Ozeans, den Klimawandel zu verlangsamen, und es erhöht sich das Risiko, dass Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden, welche zu massiven klimatischen Veränderungen führen können. Solche Ereignisse sind aus der Erdgeschichte bekannt und sind von Veränderungen in der Ozeanzirkulation und -durchmischung verursacht.
Bis heute bleiben viele Regionen und Prozesse im Ozean nicht ausreichend erforscht, was zu Unsicherheiten in Projektionen mit Klimamodellen führt. Um diese Modelle zu verbessern, werden neue und umfangreichere Messmethoden und -systeme benötigt, welche es ermöglichen, auch schwer zugängliche Regionen des Ozeans kontinuierlich zu beobachten. Eine verstärkte internationale Kooperation in der Wissenschaft, wie z.B. im Rahmen der UN-Ozeandekade (2021-2030), und der technologische Fortschritt machen solche Beobachtungssysteme möglich, was zukünftige Veränderungen und Risiken besser vorhersagbar machen wird.
Unabhängig vom wissenschaftlichen Fortschritt, der darin liegt, den Ozean und dessen Einfluss auf das Klima der Erde besser zu verstehen, können die Risiken und die Auswirkungen des Klimawandels im Zusammenhang mit Ozeanveränderungen nur durch einen sofortigen Stopp von Treibhausgasemissionen eingeschränkt werden.“
Prof. Dr. Alexander Haumann ist Professor für Physische Geographie mit Schwerpunkt Ozeanographie an der LMU.
Zum Porträt über Prof. Dr. Alexander Haumann: Polarforschung: Erwärmung in der Kältekammer
Bis heute bleiben viele Regionen und Prozesse im Ozean nicht ausreichend erforscht, was zu Unsicherheiten in Projektionen mit Klimamodellen führt.Prof. Dr. Alexander Haumann
„Küstenstädte sind den Auswirkungen des Klimawandels, wie beispielsweise der Intensivierung von Stürmen, in besonderer Weise ausgesetzt und müssen sich daher schnell und umfassend anpassen. Rund um die Welt beginnen Küstenstädte daher damit, Maßnahmen etwa für den verstärkten baulichen Küstenschutz oder für verbesserte Frühwarnsysteme zu entwickeln und erproben.
Leider aber zeigen jüngste Studien, dass die allermeisten Städte dabei nicht schnell genug voranschreiten. Gemessen an den teils langen Vorlaufzeiten für bauliche, ökologische und soziale Anpassungsmaßnahmen und der rasanten Entwicklung des Klimawandels müssen Planungs-, Beteiligungs- und Implementierungsverfahren deutlich beschleunigt werden, unter anderem mithilfe neuer wissenschaftlicher Verfahren.
Daneben muss in weiten Teilen noch tiefgreifender über die notwendigen Änderungen und die Grenzen der Anpassungsfähigkeit nachgedacht werden. Gesellschaften müssen sich zunehmend die Frage stellen, für welche Küstenabschnitte oder Teile von Städten ein Schutz zu teuer wird oder an technische Grenzen stößt – und wann man geplante Rückverlegung von Gebäuden und Infrastruktur angehen sollte.“
Prof. Dr. Matthias Garschagen ist Inhaber des Lehrstuhls für Anthropogeographie mit dem Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Beziehungen am Department Geographie der LMU.
Zum Interview: Uns läuft die Zeit davon
Küstenstädte sind den Auswirkungen des Klimawandels, wie beispielsweise der Intensivierung von Stürmen, in besonderer Weise ausgesetzt und müssen sich daher schnell und umfassend anpassen.Prof. Dr. Matthias Garschagen , Inhaber des Lehrstuhls für Anthropogeographie mit dem Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Beziehungen am Department Geographie der LMU
„Die Häufung und Intensität von Extremereignissen, leider auch sehr aktuell in Frankreich und Spanien, zeigt eindrucksvoll auf, dass wir uns auch in Deutschland auf größere und neue Risiken vorbereiten müssen. Dabei steht zu Beginn die Notwendigkeit, die bisherige Praxis zur Bemessung von Extremereignissen zu überdenken und an sehr dynamische Veränderungen anzupassen.
Um Deutschlands Resilienz gegenüber extremen Wetterereignissen zu erhöhen, ist ein mehrschichtiger Ansatz erforderlich. Die Implementierung naturbasierter Lösungen zur Unterstützung eines klimawandelresilienten Landschaftswasserhaushalts, z.B. durch die Renaturierung von Moor- und Auenlandschaften, ist hier eine zentrale Aufgabe. Die Verbesserung urbaner Versickerungsflächen und der Einsatz von „Schwammstadt“-Konzepten können die lokale Wasseraufnahme ebenfalls verbessern. Auch die landwirtschaftliche Praxis ist anzupassen, z. B. durch Bodenverbesserungsstrategien wie Agroforstwirtschaft und regenerative Landwirtschaft, um Wasserhaltekapazitäten zu erhöhen und Bodenerosion zu mindern.
Neben einer Ertüchtigung und der Anpassung wasserwirtschaftlicher Infrastruktur sind integrative Frühwarnsysteme unerlässlich, um die Vulnerabilität zu reduzieren und Anpassungsstrategien zu optimieren.“
Prof. Dr. Ralf Ludwig hat die Professur für Angewandte Physische Geographie und Umweltmodellierung an der LMU inne.
Die Häufung und Intensität von Extremereignissen, leider auch sehr aktuell in Frankreich und Spanien, zeigt eindrucksvoll auf, dass wir uns auch in Deutschland auf größere und neue Risiken vorbereiten müssen.Prof. Dr. Ralf Ludwig , Professur für Angewandte Physische Geographie und Umweltmodellierung an der LMU
Zum Interview: „Wir müssen lernen, mit weniger Wasser auszukommen“
„Unsere Analysen, die wir häufig international (zum Beispiel Deutschland, Indien, Südafrika, USA) und für verschiedene Medien (zum Beispiel Nachrichtenmagazine, Tageszeitungen) durchführen, zeigen, dass Klimaberichterstattung oft im Kontext weit entfernter, globaler und negativer – in manchen Fällen sogar apokalyptischer – Zukunftsvorstellungen erfolgt. Der Klimawandel wird dabei als abstraktes Problem dargestellt und es kommen Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Politik zu Wort. Viele Menschen fühlen sich dadurch nicht angesprochen. Die Forschung zeigt, dass solche Darstellungen zwar Aufmerksamkeit erregen können, aber nicht unbedingt zu Handlungen anregen.
Zwar ist der Forschungsstand nicht eindeutig, aber es gibt Hinweise darauf, dass eine Darstellung des Klimawandels in zeitlich nahen und lokalen Kontexten, mit Alltagsbezügen und Verweisen auf individuelle sowie kollektive Lösungen, die Bereitschaft fördert, sich klimafreundlich zu verhalten bzw. entsprechende Maßnahmen zu unterstützen.“
Prof. Dr. Lars Guenther ist Professor für Kommunikationswissenschaft.
Es gibt Hinweise darauf, dass eine Darstellung des Klimawandels in zeitlich nahen und lokalen Kontexten, mit Alltagsbezügen und Verweisen auf individuelle sowie kollektive Lösungen, die Bereitschaft fördert, sich klimafreundlich zu verhalten bzw. entsprechende Maßnahmen zu unterstützen.Prof. Dr. Lars Guenther, Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU
Weltklimakonferenz in Baku: zur Webseite
UN Emissions Gap Report: zum Report
Zum Dossier: Forschung zum Klimawandel
Erstmals veröffentlicht am 30.10.2024, zuletzt aktualisiert am 11.11.24